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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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sagen, Paul, wenn ich dir erzählen würde, daß ich ihn kennengelernt habe?«
    »Vincent, um Gottes willen!« Pauls Ausbruch zerreißt die Luft wie ein Blitzschlag.
    »Ich habe ihn kennengelernt, und als Belohnung, daß ich ihn porträtiert habe, hat er mich schmerzfrei gemacht.«
    »Vincent, um Christi willen!«
    »Und jetzt spüre ich keinen Schmerz mehr. Ich spüre nicht mehr den geringsten Schmerz, keine Angst, keinen Wahnsinn … Nur noch Farben. Herrlich glänzende Farben, überall. Nur ich kann sie sehen, so wie den Königsstrand am Meer der Ewigkeit, nur ich kann sie sehen. Jetzt weiß ich, womit jener Teil meines Ichs, der den Schmerz fühlt, verbunden ist.«
    »Vincent, hör auf! Hör auf damit! Das ist doch Wahnsinn!«
    »Und was ist, wenn es stimmt?«
    »Nein! Vincent, um Himmels willen, hör damit auf! Es ist irrsinnig!«
    Doch Vincent hat das Rasiermesser schon von seinem Platz auf dem Tisch neben dem Bett genommen. Er klappt es auf und hält es neben sein Ohr, um Paul, um Theo, um den Bewohnern von Arles, der Provence, den Bewohnern Frankreichs und Hollands und der ganzen Welt in allen möglichen Zeiten zu zeigen, daß es den König der Schmerzen entweder gibt oder er vom Wahnsinn umzingelt ist.
    Er fängt an zu schneiden.
    Paul schreit etwas, aber Vincent kann die Worte nicht voneinander unterscheiden, denn sie fliegen wie große, leuchtende Schmetterlinge durch den Raum. Der Raum wallt in einem Schwall von Farben; überall sind Farben, endlose Regenbogenfarben.

    Er spürt, wie das Blut an ihm herunterläuft, an seinem Hals, an seinen Schultern, an seiner Seite.
    Paul schreit, versucht ihm das Rasiermesser zu entwinden, doch Vincent wirft ihn mit einer Armbewegung quer durch den Raum, und die Farben türmen sich, Schicht auf Schicht, bis die taumelnde Schönheit droht, ihn wie einen großen, grauen Felsblock zu zermalmen.
    Er hält das Rasiermesser in der rechten Hand. In der Linken: das untere Drittel seines rechten Ohrs. Der großartige Gauguin; der Meister, Lehrer, Inspirateur, Führer, er liegt winselnd in der Ecke.
    Noch am gleichen Abend steckt Vincent, während die Prostituierten die Christmette besuchen, das abgeschnittene Ohr in einen Umschlag, den er unter der Tür eines Bordells hindurchschiebt, das er sehr gut kennt. Als er wieder nach Hause kommt, ist Paul weg. Und die ganze Zeit über drehen sich die Lichter und fliegen die Farben.
     
    Dr. Guilefoy ist ein freundlicher Mensch. Er unterscheidet sich von allen anderen Ärzten und Pflegern in der Anstalt. Er hat Sympathie. Er hat Verständnis für die Bedürfnisse eines Künstlers. Sein Patient ist ein hagerer, rotblonder Mann mit einem verstümmelten Ohr, ein Mann, der von einer rasenden, heftigen Energie beherrscht wird, die die Luft um ihn herum aufwirbelt wie eine starke Windbö.
    Dr. Guilefoy hat gehört, daß er Holländer ist und in Arles wohnt, ein Maler; und es betrübt Dr. Guilefoy, ihn hier zu sehen, auch wenn er freiwillig gekommen ist. Also schreibt Dr. Guilefoy an den Bruder des Malers in Paris und bittet ihn, weiterhin Farbe und Leinwand zu schicken, während er selbst die schmutzige Unterkunft des Holländers besucht, um dessen Pinsel, Staffeleien und Arbeitsbücher zu holen. Er weist dem Patienten zwei Räume zu, einen, den er ausschließlich als Atelier verwenden kann, und er unterzeichnet ein Dokument, das dem Künstler die Erlaubnis gibt, die Anstalt zum Malen zu verlassen.
    Von großem therapeutischen Wert, schreibt er auf seine Anweisung. Als der Frühling in den Sommer übergeht, stellt Dr. Guilefoy bedächtig und zufrieden fest, daß der Patient sich auf dem Weg gesundheitlicher Besserung befindet. Es ist beinahe so, als hätte die Jahreszeit dem Holländer ein neues Leben geschenkt; er entwickelt sich, er blüht auf, er bekommt feuchte Augen beim Anblick von Leinwand. Dr. Guilefoy inspiziert sie alle in seinem Büro und wundert sich über die Farbwirbel der titanischen, vage sichtbar werdenden Sternenstrudel seiner strahlenden Nächte; die der wachsenden Vernunft hinter der Anstaltstür in seiner Interpretation von St. Remy; die seiner Mitpatienten mit ihren Hüten und Stöcken: »Wie Bauern im Wartesaal dritter Klasse eines Provinzbahnhofs«; die des Efeugrüns und der blühenden Mandelbaumzweige.
    Von seinem offenen Arbeitszimmerfenster aus kann Dr. Guilefoy den Patienten malen sehen; er malt mit der rasenden Hingabe eines Menschen, dem ein Engel die Ankündigung des Untergangs überbracht hat. Dr. Guilefoy

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