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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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staubigen Straße liegen Landschaften des Wahnsinns. Geschlachtete Pferde, brennende Windmühlen; verdrehte Haufen gefolterten Eisens und zersplitterten Glases; ein behelmter Mann, der in einem mit Wasser gefüllten Loch eine Mohnblume umklammert; schwellbäuchige Skelettkinder, wobei es noch grausiger ist, daß sie leben, statt den Tod zu empfangen; eine endlose Reihe von Menschen in grauen Mützen, die einem endlosen Horizont zustreben; weiche, bleiche Hügel großäugiger, sich stapelnder Leichen, zerrissen von eisenmähenden Maschinen, die langsam und schweigend in die Mäuler von Feueröfen geworfen werden; eine weiße Ziegelmauer, versehen mit der Silhouette eines Mannes, eines Kindes und eines springenden Hundes, aufgemalt in gelber Farbe; und zwei Sonnen, die im Westen untergehen. Kinder, getroffen von zehntausendmal zehntausend Nadeln; Mühlen und Maschinen, und eine Million dunkelrauchender Schornsteine …
    »Halt!« schreit Vincent. »Halt halt halt!«
    Und der König der Schmerzen bleibt stehen, dreht sich um und sieht ihn an.
    »Was ist das für ein Ort? Warum hast du mich hierhergebracht? Warum? Weswegen?«
    »Dies ist die Straße der Jahre«, sagt der König der Schmerzen. »Der Pfad führt durch die Zeit, bis an den Rand des Meeres der Ewigkeit. Dies ist die Zukunft, Vincent; die Zukunft, die du zu formen hilfst; die Zukunft, die mich hervorgebracht hat. Sieh sie dir nur gut an!«
    Da wird Vincent klar, daß er eine Million Kilometer voraus und zurück sehen kann, und eine Million Kilometer nach rechts und nach links. Doch wo er auch hinsieht, über die endlose, weite Flur, erblickt er Schmerz und Leid und Kummer und Agonie und Qual, Verzweiflung und Zerstörung und Tod, Haufen verrottender Eisschollen und Strömungen überall in der Zukunft.
    »Abscheulich, Vincent? Eine Zukunft bedeutungslosen, nicht endenwollenden Leidens. Außer für den König der Schmerzen. Bald werden alle Menschen so sein wie du, und jeglicher Schmerz wird ausgemerzt sein. Sieh es dir noch einmal an, Vincent!«
    Und als Vincent die Landschaften des Schmerzes überblickt, sieht er, einen Regenbogenglanz auf den öligen Niederungen, Gezeitenflächen und versumpften Abflußlöchern. Eine glänzende, göttliche Aurora flackert über den Glaspfützen, messingnen Städten und zerborstenen Hügeln der Zukunft: Auf jeder Seite reiht sich der Schmerz der gesamten Menschheit auf, doch alles, was er sehen kann, sind die herrlich schönen Farben.
    »Nimm es zurück«, ruft er aus. »Nimm es von mir! Ich möchte es nicht sehen, ich möchte diesen Schmerz nicht sehen, die ganze Qual, ohne daß man helfen kann, ohne daß man etwas weiß und nichts fühlt. Wenn man nur Farben sieht, ist es Wahnsinn.«
    »Nein, Vincent …«
    »Doch! Wahnsinn! Ich bin ein Irrer, der in ein Irrenhaus gesperrt wurde, weil er keinen Schmerz mehr spürt. Du hast mir das genommen, was mich menschlich macht, und deswegen will die Menschheit nichts von mir wissen, deshalb nennt sie mich verrückt und sperrt mich in ein Irrenhaus.«
    »Nein, Vincent …«
    »Doch! Wenn ich Schmerz nicht spüren kann, kann ich auch die Freude nicht spüren! Ich fühle überhaupt nichts! Ich bin nur eine Farbpalette ohne Gewicht und Substanz; ich male, was ich sehe, doch was ich sehe, sind Farben. Ich kann nicht mehr das malen, was ich fühle, weil ich kein Gefühl mehr habe! Der Schmerz ist ein schrecklich mahlendes Ding, doch aller Schmerzen enthoben zu sein, ist unvorstellbar schrecklich. Wenn das, was du mir gegeben hast, das ist, was du der gesamten Menschheit geben wirst, dann ist sie weit vom Paradies deiner Vorstellung entfernt. Es ist eine Hölle, aber du bleibst dennoch immer nur ein Mensch, Jean-Michel Rey. Du bist kein … Teufel.«
    Auf dem Gesicht Jean-Michel Reys zeigte sich das Grauen. Er hat erwartet, daß Vincent »Gott« sagt.
    Dann verwischt sich die Landschaft um Vincent und flimmert, als sähe er sie durch tiefes Wasser in noch tieferen Tiefen. Die Zukunft verläuft wie verschmierte Farbe, und Vincent findet sich am kalten, steinernen Ufer unter dem Kirschbaum wieder, im Herzen des Wahnsinns.
    »Gib mir den Schmerz zurück«, sagt er demütig. »Du hättest ihn mir nicht nehmen dürfen. Gib ihn zurück, laß mich wieder menschlich sein!«
    Der König der Schmerzen läßt eine einzelne, glänzende Träne fallen. Er langt in das Geäst seines Baumes hinauf, der sowohl Blüten als auch reife Früchte und sowohl grüne als auch braune Blätter trägt, und pflückt

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