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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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daß sie diesen Zusammenhang erkennen, aber nein, sie werden nicht schlau. Und du hättest mal die Menschenmenge sehen sollen, die sich gegen halb acht schließlich versammelt hatte. Alle Altersstufen, sogar ein paar von diesen Jugendlichen, die sich wie australische Ureinwohner bemalen und zerrissene Lederkleidung tragen. Sogar die sind gekommen, um zu protestieren. Sie haben eine abscheuliche Ausdrucksweise, aber immerhin fühlen sie sich betroffen. Aber nichts konnte die anderen aufhalten. Sie donnerten einfach dagegen, und es stürzte in sich zusammen.
    Du fehlst mir heute besonders, Minna. Und es gibt keinen guten gebackenen Käse mehr.«
    So sprach der sehr alte Mann zum Boden. Und jetzt weinte er leise, ein kräftiger Wind kam auf, und der Nieselregen zeichnete Tupfen auf seinen Mantel.
    Nicht weit davon entfernt, wenn auch mit einigem Abstand, starrte Billy Kinetta auf ein anderes Grab hinunter. Er konnte den alten Mann dort links von sich sehen, aber er nahm ihn nicht weiter zur Kenntnis. Der Wind zerrte an den Schößen seines Regenmantels. Er hatte den Kragen hochgeschlagen, doch der Regen tröpfelte ihm trotzdem ins Genick. Dies war ein jüngerer Mann, noch keine fünfunddreißig. Im Gegensatz zu dem alten Mann weinte Billy Kinetta weder, noch sprach er mit der Erinnerung an jemanden, der ihm einst zugehört hatte. Man hätte ihn für einen Erdwahrsager halten können, wie er so still dastand und den Blick auf den Boden gesenkt hielt.
    Einer dieser Männer war schwarz, der andere war weiß.
     
    Hinter dem hohen eisernen Bajonettzaun, der den Friedhof umgab, hockten zwei Jungen und blickten durch die Streben, durch den Regen, zu den Männern, die mit schwerwiegenden Dingen beschäftigt waren, so schwerwiegend wie die Erde der Gräber. Eigentlich waren sie keine Jungen mehr. Nach dem Gesetz waren sie junge Männer. Der eine war neunzehn, der andere zwei Monate jünger als zwanzig. Beide waren nach dem Gesetz alt genug, um zur Wahl zu gehen, alkoholische Getränke zu sich zu nehmen und Auto zu fahren. Keiner von beiden würde so alt werden wie Billy Kinetta.
    Einer von ihnen sagt: »Laß uns doch den Alten nehmen.«
    Der andere entgegnete: »Glaubst du, der Typ im Trenchcoat wird sich raushalten?«
    Der erste lächelte, ein bösartiges kleines Lächeln. »Darauf verwette ich meinen Arsch.« Er trug an der rechten Hand einen ledernen Fingerhandschuh, bei dem die Fingerkuppen abgeschnitten und kleine runde Metallkegel in einem Muster entlang der Linie seiner Knöchel aufgenietet waren. Er ballte die Hand zur Faust, öffnete sie, schloß sie wieder.
    Sie krochen unter den spitzen Metallpfählen des Zauns an einer Stelle durch, wo durch Erdabtragung im Laufe der Zeit eine flache Rinne entstanden war. »Scheiße«, sagte der eine, während er auf dem Bauch vorwärtsrutschte. Der Boden war matschig. Die Vorderseite seiner poppigen Satinjacke war dreckig. »Scheiße.« Mit dieser Pauschalbezeichnung bedachte er den Zaun, das Darunterdurchschlüpfen, die aufgeweichte Erde, das Universum ganz im allgemeinen. Und den alten Mann, der jetzt erst recht was erleben konnte, weil er seinetwegen seine feine poppige Satinjacke dreckig gemacht hatte.
    Sie schlichen sich von links an ihn heran, so weit von dem jüngeren Mann im Trenchcoat entfernt, wie es nur ging. Der erste schlug den Jagdstock mit einer kurzen, zackigen Handbewegung um, die er im Tae-Kwon-Do-Unterricht gelernt hatte. Man nannte sie yup-chagi. Der alte Mann kippte nach hinten um.
    Dann waren sie über ihm; der eine mit der scheißbeschmutzten poppigen Satinjacke schlug dem alten Mann ins Genick und seitlich ins Gesicht, während er ihn am Mantelkragen herumzerrte. Der andere begann, die Manteltaschen zu durchwühlen; er zerriß den Stoff, um die Hand hineinzubekommen.
    Der alte Mann fing an zu schreien. »Schützen Sie mich. Sie müssen mich schützen … Mir darf nichts passieren!«
    Der eine, der die Taschen durchwühlte, hielt einen Moment lang inne. Was redete der alte Wichser da für einen ausgemachten Scheiß? Wer, zum Teufel, glaubt er wohl, wird ihn beschützen? Bittet er uns, ihn zu beschützen? Ich werde dich schützen wie ›Fromms Gefühlsechte‹. Ich werde dir die beschissene Lunge eintreten!
    »Stopf ihm das Maul!« zischte er seinem Freund eindringlich zu. »Hau ihm die Faust rein!« Dann bekam seine Hand, die sich in eine Innentasche des Jacketts zwängte, etwas zu fassen. Er versuchte, die Hand herauszuziehen, aber der Stoff des Jacketts und

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