Wassermans Roboter
konnte, weil Gedanken an trübes Wasser und kalkweißes Magnesiumlicht auf dunklem Laubwerk ihn an die Decke des Schlafzimmers starren ließen, ging er aus dem Zimmer, um sich einen Schluck Wasser zu holen. Er ging im Wohnzimmer auf und ab, da er nicht allein sein wollte, auch wenn die einzige Gesellschaft seiner schlaflosen Nacht seinerseits schwer atmend schlief.
Er blickte aus dem Fenster. Wolken hingen wie Chiffonstreifen am Himmel. Von der Straße drang Reifenquietschen herauf.
Nach einem Seufzer nahm er seine langsame Wanderung durch den Raum wieder auf, da sah er die Taschenuhr des alten Mannes auf dem Tischchen neben dem Sofa liegen. Er ging zum Tischchen. Falls die Uhr immer noch elf zeigte, würde er sie vielleicht mal mitnehmen und zur Reparatur bringen. Das wäre ein netter Gefallen, den er Caspar erweisen könnte. Er liebte diesen hübschen Chronometer.
Billy beugte sich vor, um das prächtige Stück in die Hand zu nehmen.
Die Uhr, die immer noch genau das spitze V von elf Uhr zeigte, erhob sich mit einer leichten Neigung von der Tischplatte und entzog sich schwebend seinem Zugriff.
Billy Kinetta fühlte, wie ihm ein Schauder den Rücken hinablief und am Ende der Wirbelsäule in ihn hineinkroch. Er streckte die Hand nach der Uhr aus, die vor ihm in der Luft schwebte. Sie schwebte gerade so weit von ihm weg, daß seine Finger in leere Luft griffen. Er versuchte, sie zu fangen. Die Uhr trickste ihn aus, machte lässige Rückzieher wie ein Gegner, der weiß, daß für ihn keinerlei Gefahr besteht, hinterrücks überlistet zu werden.
Plötzlich spürte Billy, daß Caspar wach war. Obwohl er dem Sofa den Rücken zugewandt hatte, wußte er, daß der alte Mann ihn beobachtete. Und die vergnügt dahinschwebende Uhr.
Er sah Caspar an.
Eine ganze Weile sprachen sie kein Wort.
Dann: »Ich gehe jetzt schlafen«, sagte Billy leise.
»Ich glaube, du hast ein paar Fragen«, entgegnete Caspar.
»Fragen? Nein, natürlich nicht, Alter. Warum, in aller Welt, sollte ich Fragen haben? Ich schlafe ja noch halb.« Aber das war nicht wahr, er hatte die ganze Nacht noch kein Auge zugetan.
»Weißt du, was ›Caspar‹ bedeutet? Erinnerst du dich an die drei Weisen in der Bibel, die Heiligen Drei Könige aus dem Morgenland?«
»Ich lege keinen Wert auf Weihrauch und Myrrhe. Ich gehe wieder ins Bett. Also, ich gehe jetzt. Siehst du, ich gehe auf der Stelle.«
»›Caspar‹ bedeutet Schatzmeister, Bewahrer der Geheimnisse, Paladin, der Hüter des Palastes.« Billy starrte ihn an; er ging nicht ins Schlafzimmer, starrte ihn nur einfach an. Unterdessen schwebte der elegante Chronometer zu dem alten Mann, der die geöffnete Hand ausstreckte, um ihn in Empfang zu nehmen. Die Uhr schmiegte sich in seine Hand, blieb unbeweglich liegen und gab keinen Laut von sich, nicht den geringsten.
»Geh wieder ins Bett. Aber kommst du morgen mit mir auf den Friedhof? Es ist wichtig.«
»Warum?«
»Weil ich glaube, daß ich morgen sterbe.«
Es war ein schöner Tag, kalt und klar. Keineswegs ein Tag zum Sterben, aber viele Tage in Südostasien waren es genausowenig gewesen, und der Tod hatte sich nicht abhalten lassen.
Sie standen bei Minnas Grab, und Caspar klappte seinen Jagdstock auf, um einen Sitz daraus zu machen; er steckte die Spitze in den Boden und nahm auf den ausgeklappten Griffen Platz. Mit einem Seufzer sagte er zu Billy: »Ich bin so kalt wie dieser Stein.«
»Möchtest du meine Jacke?«
»Nein, ich bin innerlich kalt.« Er sah sich um, zum Himmel hinauf, auf das Gras hinunter und auf die Reihen von Markierungssteinen.
»Ich war verantwortlich für all dies, und noch für viel mehr.«
»Das hast du schon mal gesagt.«
»Junger Freund, bist du zufällig beim Lesen mal auf einen alten Roman von James Hilton gestoßen mit dem Titel ›Lost Horizon‹? Vielleicht hast du auch den Film gesehen. [1] Es war ein wundervoller Film, eigentlich besser als das Buch. Mister Capras größte Leistung. Ein Vermächtnis an die Menschheit. Ronald Colman war hervorragend. Kennst du die Geschichte?«
»Ja.«
»Kannst du dich an den Obersten Lama erinnern, der von Sam Jaffe gespielt wurde? Sein Name war Vater Perrault.«
»Ja.«
»Erinnerst du dich, wie er das Amt des Hüters dieser verborgenen Zauberwelt, Shangri-La, an Ronald Colman übergab?«
»Ja, daran erinnere ich mich.« Billy zögerte, bevor er weitersprach. »Anschließend starb er. Er war sehr alt, als er starb.«
Caspar lächelte zu Billy hoch. »Sehr gut,
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