Wassermans Roboter
nicht reden. Nicht der Typ, der beim Arbeiten redete. Er verschwand mit Jimmy im Keller. Die Frau dachte sich gar nichts. Sie wußte nicht, warum sie Jimmy eingeladen hatte; nicht genau. Irgend etwas sollte, würde, müßte passieren, soviel war klar. Sie strengte sich nicht an, darüber nachzusinnen, was das genau für ein Ereignis sein sollte. Eine Auseinandersetzung vielleicht. Einer sollte den anderen umbringen oder so? – Sie genoß es, nicht darüber nachzudenken. Sie hatte den Entschluß zur Einladung ohne Rücksprache mit ihrer Fem-Gruppe gefaßt und war sich deshalb auch keine Rechenschaft schuldig. Und es war ja etwas passiert. Das Licht war ausgegangen. Bedeutung? Koinzidentiell? C.G. Jung-isch? Oder operatorisch-symbolisch nach Pfaffenreither? Nur keine großen Analysen jetzt. Locker rankommen lassen. Ganz locker.
»Warum ist das Licht aus?«
Markus stand auf der Treppe zum ersten Stock und hielt ein Blatt Papier in der Hand.
»Fragen kannst du stellen!«
Sie ärgerte sich. Nicht wegen der Frage, sondern weil ihr Sohn schon wieder mit Berger zusammensteckte.
»Wahrscheinlich ist es nur eine Sicherung, Papa und Jimmy sind schon unten und sehen nach.«
Markus wurde eigensinnig.
»Die Hauptsicherung kann es nicht sein. Opas Radio läuft ja. Wenn es die Hauptsicherung ist, dann kann überhaupt nichts laufen im Haus.«
»Die Sicherung ist es nicht«, sagte Jimmy. Er stand in der Kellertür, der Dozent mit der Kerze hinter ihm. »Die ist in Ordnung. Es muß irgendwo außerhalb sein.«
»Markus sagt aber, Bergers Radio läuft …«
»Das ist völlig unmöglich. Ohne Strom kann es nicht laufen.« Das war eine so dumme Bemerkung, daß keiner etwas zu sagen wußte. Sie schämten sich für Jimmy. Schließlich konnte jedes Kleinkind ein laufendes Radio von einem nicht laufenden unterscheiden.
»Schauen wir nach!« sagte der Dozent.
Berger saß wie üblich im Dunkeln und hatte von dem Stromausfall noch nichts gemerkt. Konnte er auch nicht. Das magische Auge des Röhrenapparates leuchtete als helles Rechteck in der Finsternis.
»Was wollt ihr? Ich hab’ jetzt keine Zeit! Sie fängt gleich an …«
»Wer fängt an?« wollte Jimmy wissen.
Er ist begriffsstutzig, dachte Markus. Um nicht zu sagen dumm. Deshalb ist er auch nur Monteur.
»… weiß ich …«, sagte das Radio. Mit Marthas Stimme.
»Das ist sie!« rief Berger.
»Wer ist das?« fragte Jimmy.
Wenn ich so dumm wäre, dachte Markus, dann wär es aus mit Mary. Dumme Menschen kann sie nicht vertragen. Aber Mama läßt ihn. Er muß gut sein im Bett.
Berger rückte seinen Notizblock zurecht. Er war aufgeregt. »Ich hab’ natürlich noch keine fixe Erklärung, versteht ihr? Es hängt davon ab, was sie heute erzählt. Aber ich nehme Phasentransfer an … aus dem Hyperraum … ja, so müßte es funktionieren.«
Er klang etwas verlegen, wie es bescheidenen Menschen ansteht, die bei einer epochemachenden Entdeckung ertappt werden.
»… wie alles wird …« Rauschen.
»… was ich sehe …« Rauschen.
Jimmy fühlte sich unwohl. Sehr unwohl. Das war nicht normal hier. Die waren verrückt, alle. Besonders der Alte …
»… höchste Gefahr … höre! höre! …« Rauschen.
Die Frau dachte: das ist die Stimme von Martha. Unverkennbar. Dieses leichte Zischen. Und immer der hysterische Unterton. Hörbar unter den Störungen. Ähnlich wie Berger. Sie paßten zusammen. Berger und sein Radio, das er geerbt hatte von diesem Leutold. Der war auch so gewesen. Paßte auch zu Berger. Ein Radio, das ohne Strom lief. Und was kam in dem Radio, das ohne Strom lief? Marthas Stimme. Martha, die vor dreizehn Jahren gestorben war. Das Zischen. – Der Gedankengang fing wieder von vorne an. Sie kam aus der Schleife nicht raus.
»… düstrer Tag … du weißt genug …« Rauschen.
»Düstrer Tag«, murmelte Berger. Er schrieb eifrig mit. »War sowieso nur Blödsinn mit dem Universal. Paßte gar nicht zu ihr. Aber sie hat sich befreit, hab’ ich recht?«
Keiner gab Antwort.
»… Schlaf ist Träumen … Träumen Sinnen …«
»Wie poetisch«, sagte der Dozent. Dann mußte er lachen.
»Ruhe!« brüllte Berger.
Jimmy war noch nicht so weit, auf sprachliche Besonderheiten zu achten. Vor der Stimme kam das Radio, denn die Stimme kam aus dem Radio. Und das lief ohne Strom.
»Wieso läuft das Radio?«
Seine Stimme klang weinerlich. Ein kleiner Junge, der fragt, warum man ihm sein Spielzeug weggenommen hat.
»Halt’s Maul!« sagte Berger.
Er drehte sich
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