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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Erinnerung mehr an seine Großmutter. Aber seine Eltern schienen sich zu fürchten. Am meisten fürchtete sich Jimmy. Dem war es anzusehen. Markus hatte bisher immer geglaubt, Jimmy fürchte sich nur vor dem Erwischtwerden, wenn er mit Mama im Bett lag. Absurd im Grunde. Wer sollte etwas dagegen haben?
    »Geh ins Bett!«
    »Soll ich nicht noch das Programm abschalten? Wir brauchen es ja jetzt nicht mehr.«
    Der Dozent sprang auf.
    »Ich will nichts mehr hören von diesem gottverdammten Programm!« schrie er. »Ohne diese grandiose Idee hätten wir uns den ganzen Schlamassel erspart!«
    ›Schlamassel‹ hatte der Dozent noch nie gesagt. Es war ein Großvater-Wort. Erstaunlich, daß der Dozent solche Wörter kannte. Markus zog sich rasch auf sein Zimmer zurück.
    Der Dozent beruhigte sich wieder. Gefühlsausbrüche sollen keinesfalls unterdrückt werden, aber sie sollen kurz und heftig sein. Vor allem kurz. Management-Kurs 4b. Mitarbeiterführung. Wie hieß es weiter? »Unangenehme Wahrheiten müssen kurz und überzeugend mitgeteilt werden. Das gilt auch für Entschlüsse. Jedes Zögern fordert nur zu destruktiver Kritik heraus. Es kann ja auch nicht anders sein. Wenn Sie unsicher sind, signalisieren Sie, daß ihr Entscheid nicht endgültig und diskutierbar ist. Das müssen Sie vermeiden.«
    »Das Radio muß weg! Und Berger auch!«
    Das schien kurz und überzeugend genug zu sein. Niemand machte einen Einwand.
    »Ich werde morgen mit Dr. Lennart reden. Gute Nacht.«
    Er drehte sich um und ging hinüber ins Schlafzimmer. Er war stolz auf sich. Jahrelange Ausbildung – da zeigte es sich eben. Wenn es wirklich darauf ankam, dann war er da. Was bot dagegen dieser Jimmy? Kurz vorm Heulen war der. Bedauernswerte Kreatur im Grunde.
     
    Jimmy hätte dieser Einschätzung beigepflichtet. Er bedauerte sich selbst. In seinem Kopf ging alles durcheinander; das lag an Gedanken, die er noch nie gedacht hatte. Er hatte gar nicht gewußt, daß er fähig war, sie zu denken. Zum Beispiel die technische Seite.
    »Ob sie auch an so einem Radio sitzt?«
    »Wer?« fragte die Frau. Alt sieht sie aus, dachte er.
    »Na, deine Mutter, drüben, mein’ ich.«
    Die Frau gab keine Antwort. Sie starrte ihn nur an. Zum ersten Mal, seit er sie kannte, verspürte er kein sexuelles Interesse. Seltsam war das. Eine ganz andere, neue Frau.
    »Ich frage mich«, sagte er, »ob sie im Himmel ist oder in der Hölle.«
    Wie kam er darauf? Himmel und Hölle, religiöse Paradigmata bei Jimmy, dem Monteur. Unglaublich! Sie verstand nicht, daß er diese Begriffe kannte.
    »Ich meine, wenn sie auch so ein Radio hat, vielleicht sieht es dann auch sonst so aus wie hier. Das wär doch interessant.«
    Die Frau sagte nichts. Jimmy nahm es als Ermunterung, weiterzureden. Solange ihn keiner unterbrach und sagte: »Quatsch«, konnte er ruhig reden, dann war noch alles in Ordnung.
    »Also auch in einem Zimmer mit Bett und Stuhl und Kasten und so.« Der Gedanke begann ihn zu erheitern. »Und vielleicht auch eine ganze Stadt, wo all die Leute wohnen, die gestorben sind. Und sind wie wir – also gehen in die Kurse oder sind Monteure …«
    Er lächelte. Die Vorstellung einer jenseitigen Existenz in seinem diesseitigen Beruf hatte etwas Tröstliches. Wenn er hier kein Universal zu lernen brauchte, warum sollte er es dort lernen müssen?
    »Und wenn es die Hölle ist?« Die Frau zündete sich eine Zigarette an und blies hastig den Rauch von sich. Jimmy war verärgert. Wenn es schön sein konnte, warum sollte es dann schlimm sein?
    »Ach wo, Hölle ist mit Feuer und so. Hat sie was davon gesagt?«
    »Es gibt gar keinen Sinn, was sie gesagt hat. Es klang nur bedrohlich.«
    Jimmy ließ sich in seinem Gedankenfluß von diesen düsteren Andeutungen nicht stören.
    »Wenn es dort so ist wie hier, dann wissen sie vielleicht gar nicht, daß sie tot sind, oder? Und sind jetzt auch so erschrocken wie wir.« Er lachte. »Und vielleicht sitzen sie jetzt dort und fragen sich, ob es Himmel und Hölle gibt – hier auf unserer Seite.«
    »Unsinn«, sagte die Frau, »sie müssen wissen, daß sie gelebt haben. Außer sie haben alles vergessen.«
    »Ja, das könnte sein«, sagte er. Er lachte nicht mehr. Irgendwie war das Lachen weggekommen; die Frau war daran schuld. Ich frag’ sie nicht, ob sie Lust hat. Ich frag’ sie einfach nicht.
    »Ich muß jetzt gehen«, sagte er und stand auf.
    Sie nickte nur.
     
    Die Entfernung Bergers erwies sich als problemlos. Dr. Lennart kam mit einem

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