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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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nun auf einer Hand und einem Fuß und versuchte, sie über die Schulter anzuschauen. Doch das gelang ihm nicht; er verlor das Gleichgewicht. »Ich kast nik aufhanin«, sagte er entrüstet.
    Ihr Mann war aufgestanden und versuchte den Androiden aufzurichten. Er war zu schwer; die alten Arme konnten das Gewicht nicht tragen. Plötzlich blickte er hoch. »Die Uhr steht still«, sagte er.
    Doch in der Stille hörte sie sie deutlich ticken. »Viertel nach vier«, sagte sie. Er sollte sich seine Ohren einmal wa …
    »So kral vin unnicher«, murmelte Bally und kroch auf zwei Händen und einem Knie, das andere Bein hinter sich herschleifend, zur Wand. »Droch stip mioauw gresteren«, brabbelte er und fing an zu weinen.
    Frau Duiker ging zu ihm hin. Sie beugte sich über ihn und half ihm, sich gegen die Wand zu lehnen. »Vorsichtig«, sagte sie. Es gelang ihr, ihn zum Stehen zu bringen; mit verzweifelter Anstrengung half er mit. Schließlich stand er in eine Ecke gelehnt, mit steifen Beinen. Sein Mund zitterte. Mit ihrer Hand wischte sie ihm die Tränen weg. »Nicht weinen«, flüsterte sie. »Bleib nur ruhig stehen, alles wird gut, Anna wird für dich sorgen, hab’ keine Angst, komm, Bally, mein Junge, wir werden …«, und Tränen strömten ihr über die Wangen.
    Ein Zittern erschütterte Ballys Körper, seine Finger vollführten unnatürliche Bewegungen, und seine Gelenke bewegten sich in merkwürdigen Winkeln. Frau Duiker merkte, daß er sie anschauen wollte, doch er hatte die Kontrolle über seine Augenbewegungen verloren, und seine Wangen wurden von Krämpfen geschüttelt, so daß seine Mimik ständig wechselte.
    Sie war überzeugt davon, daß er wußte, was vorging – sie sah es in seinen Augen – und daß er nur die Kontrolle über seinen Körper verloren hatte. Sie konnte nichts tun; sie mußte tatenlos zuschauen, wie er um seine Körperbeherrschung kämpfte, und einen kurzen Augenblick lang schien es, als ob er die Koordinationsfähigkeit wiedererlangt hätte. Mit aufgerissenen Augen schaute er in die Ferne und rief: »Es brennt! Es brennt!«, worauf er erschlaffte, in seine Ecke zurücksank und vollends erstarrte.
    Ooh, dachte Frau Duiker, während sie Bally verzweifelt anschaute, wenn man etwas Sterben nennen kann, dann dies! Als ob sie Abschied nähme, streichelte sie den Androiden mit ihrem Blick, seine Gestalt, die machtlos in der Ecke hing. Gerührt schaute sie den Pullover an, den sie Masche für Masche liebevoll für ihn gestrickt hatte. Daß er ihn jetzt anhatte …
    Ein Gefühl des Trostes und der Ruhe überkam sie.
    Sie schaute den Alten an. Er saß auf seinem Stuhl, die Hände gegen die Ohren gepreßt, mit einem entsetzten Blick in den Augen.

 
7
     
    Der alte Herr Duiker zog die Vorhänge zurück. Der untergehende Mond schien so hell, daß er unwillkürlich die Augen zusammenkniff. Es war ein Gefühl wie im Sommer. Er ging zur Küche, um Tee zu machen. In der Diele blieb er wie gewöhnlich kurz stehen, um Bally still zu grüßen. Mit unendlicher Mühe hatten sie den alten Roboter aus dem Zimmer geschleppt, aber weiter als bis in die Diele waren sie nicht gekommen. Nun stand er dort in der Ecke, tot. Nur seine Augen lebten noch. Sie leuchteten sanft im Dunkeln. Duiker erinnerte sich noch, wie sein kleines Frauchen in Panik hinausgestapft war und ihn allein mit der Leiche zurückgelassen hatte, um in der Passage zu visophonieren. Sie wußte noch nicht, daß die Zelle seines Hörapparats nicht mehr funktionierte. Wie in einem Stummfilm schaute er sich die merkwürdigen Grimassen des Roboters und des Menschleins an, und er hätte fast darüber lachen müssen, wäre Bally nicht der einzige gewesen, der ihm sein Gehör hätte wiederschenken können.
    Das Wasser kochte, und er goß den Tee auf. Im Zimmer fielen die letzten Strahlen des Mondes auf den Schädel des Neandertalers, der sich fahl vor der Backsteinwand abhob; seine Zähne glänzten wie Chrom. Plötzlich merkte Duiker, daß die Sibiriaken wieder da waren. Seit der Roboter gekommen war, hatten sie ihn nicht mehr belagert; er hatte nie mehr an sie gedacht. Sie schienen für immer aus seinem Leben verschwunden gewesen zu sein, denn auch in den Tagen nach Ballys … äh … Ableben … waren sie nicht herumgegeistert. Doch als er an diesem Abend wach wurde, waren sie wieder da.
    Wie immer hatten sie vorne in ihrem Panzerpferd gesessen, in ihrem rumpelnden, schweren Schreiter. Ihre fanatischen Augen, ihre rauhen Stimmen, die Gesichter mit den

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