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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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können.
    Der Alte schlürfte laut seinen Tee – daß er nicht selbst hörte, wie störend das war! Es erforderte ihre gesamte Aufmerksamkeit, guten Unterricht geben zu können. Bally hatte Schwierigkeiten mit den Doppelgriffen; das war auch der schwerste Teil des Stücks, in dem der Solist seine Virtuosität zeigen sollte. Zitternd sang sie mit: »Hà-ta-ta hà-ta-ta-hà-ta«, doch der Androide schien nicht zu begreifen, wie der Dreivierteltakt plötzlich in einen Fünfvierteltakt überging, was dem Stück eine besonders dramatische Wendung gab.
    Sie war unzufrieden mit ihrem Schüler und verbarg dies nicht. Seine Augen schweiften mehrmals zum kleinen Tisch am Fenster, wo ihr Mann schon den Atlas aufgeschlagen hatte und mit dem Finger an Flüssen entlang, über Bergpässe und durch Wüsten fuhr. Manchmal kam ihr der Gedanke, er würde nun wohl langsam senil mit seiner ständigen Träumerei über Reisen, die noch nie stattfinden würden. Was anfangs wie ein neues Spiel ausgesehen hatte …
    Es war genug für heute. »Morgen weiter«, sagte sie kurz angebunden und riß Bally die Bratsche förmlich aus den Händen. Sie hatte das Gefühl, daß er mit seinem schlechten Spiel geradezu die Naturgesetze schändete. Außerdem kam es ihr so vor, als würde Conan sie vom Kaminsims anschauen. Sie mußte sich auf die Zehen stellen, um das Instrument wieder an die Wand zu hängen, und fast hätte sie es fallen lassen. Was war nur mit ihr los?
    Während der Androide wieder Tee einschenkte, setzte sie sich zu ihrem Mann und schaute zu, wie sein Finger den Kilimandscharo bestieg.
    »Da kann man nicht hin«, sagte sie spitz. »Da liegt ewiger Schnee.«
    »Nein«, sagte er, »die Sonne scheint. Siehst du das denn nicht?«
    Bally hatte die Tischdecke beschmutzt, schien es aber nicht bemerkt zu haben.
    »Komm«, sagte sie, »laß uns die Tarotkarten legen!« Denn wenn wirklich irgend etwas im Anzug war, wollte sie es möglichst rasch wissen. Die Astro-Pendüle stand fast auf Fische. Die Kurven ihrer Bio-Uhr standen ziemlich hoch, nur das V stand niedrig. Sie hätte gerne ihre Aura gemessen, schämte sich aber, den Taster hervorzuholen. »Tu doch diesen Atlas weg!«
    Der Alte schaute sie an. »Ich würde sagen, im Frühling«, sagte er.
    »Jetzt tu doch endlich diesen Atlas weg!« Mußte sie denn alles zehnmal sagen!
    Folgsam schloß er das Buch und lehnte es gegen das Tischbein. Konnte er es denn nicht wegräumen! Sie beherrschte sich. Doch als er seinen Tee trank, verlor sie die Geduld. »Mußt du denn immer so schlürfen?«
    »Vorgestern war es Dsie. Ich bin gespannt, was es heute sein wird.«
    Das sechzigste Zeichen, mit einem alten Yang auf der ersten Linie. Nicht zu Tür und Hof hinausgehen ist kein Makel. Da war jeder Kommentar überflüssig! Aber Konfuzius hatte gesagt: Wo Unordnung entsteht, sind Worte der erste Schritt dahin. Das konnte sich nur auf all dieses Gerede über Weltreisen beziehen. Sie schienen verrückt geworden zu sein! – Doch der Androide und ihr Mann hatten alles darangesetzt, dem Text einen anderen Sinn zu geben.
    Wozu sollte man das Orakel zu Rate ziehen, wenn man sich dann doch nicht um das Ergebnis kümmerte?
    Frau Duiker seufzte und fürchtete sich plötzlich davor, die Karten zu holen.
    Bally stand am Fenster. »Es regnet Zahnbürsten«, sagte er.
    »Ja«, antwortete der Alte, »in Afrika schon, aber in Südostasien haben sie schwarze Zähne, von den Betelnüssen.«
    Ob die beiden sich vorgenommen hatten, sie auf den Arm zu nehmen? Sie konnte sich nicht mehr beherrschen. »Was ist nur mit euch los?«
    »Hoho«, sagte der Alte, »ohne Schreitwagen kommen wir nirgendwohin.«
    »Sie benehmen sich wie ein Teesieb«, sagte der Androide.
    Sie wußte nicht, ob er sie oder ihren Mann gemeint hatte, doch so eine Unverschämtheit hätte sie nie von ihm erwartet. Schockiert blickte sie ihn an. Sie hatte das Gefühl, in einem Gemälde von Max Ernst gelandet zu sein. »Hört ihr jetzt auf damit?« rief sie, und ihr Stimmchen überschlug sich. »Bally, setz dich einmal her! Was ist eigentlich …?«
    Der Androide hockte sich auf den Stuhl und schlug die Arme um die Knie. »Piep!« sagte er. »Schlafenszeit!«
    Der Alte fing an zu lachen. »Er hat eine seiner verspielten Launen, glaube ich.«
    »Aber ich nicht«, sagte Frau Duiker. »Ich komme mir vor wie in einem Irrenhaus.«
    »Was?« fragte der Alte und legte eine Hand hinters Ohr.
    »Ich will wissen, was los ist!«
    »Was?«
    Bally war vom Stuhl gefallen, stand

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