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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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schwarzen Flecken, alles war unverändert. Nur nicht das, was sie sagten, obwohl sie die gleiche abgehackte Sprache benutzten wie vorher. Doch ihm war, als könnte er ihre Worte nun verstehen, als sprächen sie in einer Sprache, die er schon von Geburt an kannte, die ihm mehr noch als seine Muttersprache im Blute lag.
    »Wir werden sie packen!« … »Wir schneiden sie in Stücke!« … »Pack sie! Schieß sie über den Haufen!« … »Garuda, kein Knochen von ihnen wird heil bleiben!« … »Kein einziger wird entkommen!« … »Verflucht sei Atman, sie werden abgeschlachtet! …« Das Geschimpfe hörte erst auf, als Duiker die Bettdecke zurückschlug und sich auf den Bettrand setzte, hellwach …
    Natürlich war er wach. Wenn er schlief, kamen sie nie. Erst, wenn das Bewußtsein dämmerte, fingen sie an, ihn zu quälen. Er hielt sie für eine moderne Version der behelmten Achäer vor den Toren Trojas.
    Er trank in winzigen Schlückchen seinen Tee. Der Mond war untergegangen. Brahma strahlte am Himmel wie eine ferne Sonne. Wie lange sollte er noch den Schmerz und das Gefühl der Machtlosigkeit ertragen, die ihn ergriffen hatten, nachdem das Menschlein von ihrem Gang in die Passage zurückgekehrt war? Irgendwann war schließlich doch der erniedrigende Augenblick gekommen, in dem er ihr gestehen mußte, daß er wieder nahezu taub war. Da hatte sie schluchzend einen Block zur Hand genommen und darauf geschrieben, der Puppendoktor wolle ihnen nicht helfen; allein schon ein Besuch von ihm würde sie einen Monat ihres SEEs kosten. Und es sei ohnehin fraglich, ob er überhaupt etwas ausrichten könne.
    Er hatte nicht gewußt, wie er sein kleines Frauchen trösten sollte.
    Tagelang hatten sie das Zimmer, die gesamte Wohneinheit nach der Adresse ihres Sohnes durchsucht oder nach seiner Visophonnummer oder nach der von Veronika, obwohl sie wahrscheinlich schon längst umgezogen war. Irgendwo mußte es doch stehen. Sie hatten Bücher durchgeblättert und zusammen Möbel verrückt in der Hoffnung, einen Zettel, eine Notiz zu finden, die ihnen aus ihrer Not helfen würde. Sie hatten nichts gefunden. Sie waren allein auf der Welt.
    Nach drei Tagen hatten sie keine Lust mehr, aufzustehen. Lustlos saßen sie abends vor dem Holo, während der tote Roboter ihnen aus der Zimmerecke zuschaute. War er sich ihrer noch bewußt, hatte er zugesehen, wie verzweifelt sie gesucht hatten, ohne ihm helfen zu können? Duiker vermutete es – aber er hätte nicht gewußt, wie er es mit Sicherheit herausfinden könnte.
    Die Uhr war stehengeblieben, und keiner von beiden hatte das Ding reparieren können. Deshalb hatten sie sie in den Dielenschrank gestellt. Und als der Holo aussetzte, war ihnen, als hätte der Roboter nun wirklich seinen letzten Atemzug getan. Der Holo stand immer noch da: ein totes Auge, das nur ihre alten Bewegungen trübe und grau widerspiegelte. Er war zu schwer für sie. Doch Bally hatten sie mühsam, Stückchen für Stückchen, in die Diele gebracht. Sie konnten seine ständige schweigende Gegenwart einfach nicht mehr ertragen.
    Duiker stand auf. Ahh! Sein Rücken. Es wurde allmählich Zeit, Wamp zu wecken … Wamp? So hieß sie doch gar nicht! Wie hieß sie auch wieder? … Anna – gut behalten! Sie konnte so furchtbar böse werden, wenn er sie beim falschen Namen nannte.
    Wamp … War das nicht das Mädchen aus dem Haus »Der Goldene Schnitt« gewesen, dieses federleichte Persönchen, in das er wochenlang verliebt gewesen war? Mit einem Lächeln dachte er an diesen fröhlichen Abend zurück, als sie ihn in der rosafarbenen Wirtsstube, inmitten ihrer Kollegen und seiner Mitstudenten, zum Ritter des Schwanzordens geschlagen hatte. Er legte schon einmal die Tarotkarten auf das Tischchen am Fenster, ebenso den Block und den Stift. Die Astro-Pendüle stand genau zwischen Löwe und Jungfrau. Aber er wußte nicht mehr genau, was das zu bedeuten hatte. Es erschien ihm ziemlich belanglos. Manchmal dachte er voller Neid an den Mann, der in der Ecke der Diele stand. Der Unterschied zwischen ihnen beiden war gar nicht so groß. Auch für ihn war alles vorbei. Nur wegen ihr wollte er sich noch weiter bewegen, seine Rolle noch weiter spielen. Geblieben war nur eine unbestimmte Sehnsucht nach einer Reise in weite Ferne, in eine neue Welt, in der alles anders war. Vielleicht würde diese Reise beginnen, wenn er zum letztenmal die Augen schloß.
    Er schaute auf seine Bio-Uhr. Die E- und die G-Kurve standen oben, die drei anderen Linien

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