Wassermans Roboter
alte Fahrwasser.«
»Ich verstehe nicht?«
»Gerade fingen wir an, uns wie zwei ganz normale Menschen zu unterhalten, und schon schaltest du wieder auf Sozialtechniker Nummer elf.«
»Was ist es, das dich daran so stört?«
»Das Schematische. Du fragst, und ich antworte.«
»Und was stört dich daran?«
Sie hatte es doch schon gesagt? »Ich hasse es, nach Schema F behandelt zu werden.«
»Und was, Diane, stört dich an meinem Verhalten?«
Gleich fang ich an zu schreien, dachte sie. »Alles. Es ist künstlich, nichts als Schablone«, sie wurde noch lauter, »dein Verständnis, dein Interesse, reine Routine, Heuchelei, nichts als vorprogrammierte Scheiße!«
Christian schwieg. Sie befürchtete schon, daß er einhängen würde. Ihr Ärger entlarvte sich als Angst, und es war etwas hinter ihrer Angst, was sie nicht fassen konnte.
»Diane«, seine Stimme klang wie durch Watte, »wovor fürchtest du dich?«
Ein Gefühl völliger Hilflosigkeit überflutete sie, wie damals, als sie verzweifelt in die Arme ihres Vaters gestürzt war.
»Ich glaube, es ist unsere Zeit, Christian.« Sie begann lautlos zu weinen. »Alles läuft über uns hinweg, und alles in die falsche Richtung.«
»Meinst du, die Menschen …«
»Ich meine alles, Christian. Von der Zerstörung der Natur angefangen, bis zum Overkill. Ich fühle mich all dem so hilflos ausgeliefert.«
»Und was tust du dagegen?«
»Das ist es ja. Die etwas tun könnten, tun nichts; und die etwas tun wollen, sind machtlos. Und es sind nicht nur die Dinge im großen. Ich arbeite als Programmierer und erlebe tagtäglich, wie mich der Computer zwingt, selbst zur Maschine zu werden. Wir sind so einsam geworden, so hilflos und ausgeliefert.«
»Sind dies die Ursachen deiner Ängste?«
»Was hilft es mir, die Ursachen zu kennen.«
»Nichts, solange du nicht versuchst …«
»Begreifst du denn nicht, daß alles, was ich oder du versuchen könnten, von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Du hast ja keine Ahnung, was ich alles versucht habe. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede. Alles ist so sinnlos und zwecklos geworden.«
Christians Schweigen schien ihren ungewollten Sieg anzukünden, doch es kam ganz anders.
»Du meinst also, daß Sinn und Zweck unserer Anstrengungen einzig und allein darin liegen, das gesteckte Ziel zu erreichen.«
Die Frage verwirrte sie; doch es war gar keine Frage. »Aber ist es nicht viel wichtiger, zu sich zu stehen? Einzustehen für das, woran man glaubt, ohne nach dem Nutzen zu fragen?«
Seine Worte trugen plötzlich ein seltsames Gewicht.
»Ist es verkehrt, selbst da zu helfen, wo alle Hilfe vergebens scheint; oder gar jene zu trösten, für die es keinen Trost mehr gibt?«
Die Sätze drangen wie heiße Eisen in längst vernarbtes Gewebe. Ringe, die seit langem unnachgiebig ins Fleisch gewachsen schienen, begannen zu schmelzen. War es möglich, daß die Dinge wieder ein neues Gesicht tragen könnten? »Ich muß mir noch über so vieles klar werden. Christian, willst du mir dabei helfen?«
»Ich werde bestimmt immer dasein, wenn du mich brauchst …«
Sie wollte ihm danken, ihm sagen, wie sehr er ihr geholfen hatte, bemerkte erst jetzt, daß er noch am Sprechen war.
Es dauerte Sekunden, bevor sie begriff.
Beide Hände krampften sich um ihren Mund, erstickten das Schreien zwischen weit geöffneten Lippen, während aus dem leeren Schirm noch immer die gleichen Worte tropften:
mich brauchst
mich brauchst
mich brauchst
mich brauchst
mich brauchst …
Copyright © 1988 by Joern J. Bambeck
Lino Aldani
Psychosomatisches Doppel
»Nein, mein Kleiner«, sagte M. Darbedat und schüttelte den Kopf, »diese Dinge sind unmöglich.«
Jean-Paul Sartre (Das Zimmer)
Eine flache Zigarette, überlang. Amanda zündet sie nicht an, sondern dreht sie nervös zwischen den Fingern, riecht an ihr, läßt sie von Zeit zu Zeit in den weiten Ärmel des Morgenrocks gleiten, fischt sie aber sofort wieder mit ungeduldigen Bewegungen heraus.
Ihr Mann befindet sich im Nebenzimmer. John will nicht, daß sie Hypnophen raucht. Es ist zu einer heftigen Auseinandersetzung gekommen, als er sie das letzte Mal dabei überrascht hat, sogar zu einem wütenden Streit, den sie mit dem Versprechen beendet hat, daß sie dem Laster nie wieder verfallen wird.
Aber Amanda kann nicht darauf verzichten, sie liebt es zu sehr, mit offenen Augen zu träumen, sich zügellosen Phantasien hinzugeben, Abenteuer zu erleben, in denen sie gleichzeitig
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