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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Hauptdarstellerin und Zuschauerin ist. Das alles bietet das Hypnophen. Man zündet im Halbdunkel vor einer weißen Wand eine Zigarette an, und nach einigen Zügen bevölkert sich die Wand mit den Wunschbildern der Phantasie. Man kann den Traum in die gewünschte Richtung lenken, man kann ihn nach einem vorher festgelegten Plan ablaufen lassen, man kann aber auch während des Traums entscheiden, wie die Handlung weitergehen soll. Alles entwickelt sich wunschgemäß, einmal, zweimal, zehnmal, bis die Wirkung des Hypnophens nachläßt und die Bilder des Traums sich allmählich auflösen.
    Amanda lebt nur für diese Augenblicke.
    Als sie Johns Schritte im Korridor hört, versteckt sie rasch die Zigarette zwischen den Seiten der Zeitschrift, die sie dann mit gespielter Gleichgültigkeit auf das Tischchen wirft.
    John öffnet die Tür. Amanda bewegt sich nicht.
    »Ich fliege zu Edith.«
    John bleibt einige Augenblicke auf der Schwelle stehen, dann geht er weiter, um den Fauteuil herum und sieht seine Frau an.
    »Du warst gestern bei ihr, nicht wahr?«
    Amanda nickt. Sie nimmt eine kleine, biegsame Feile vom Tischchen und bearbeitet damit ihre Nägel.
    »Wie geht es ihr?« fragt John. »Gestern abend hast du nichts erzählt, und auch heute bei Tisch hast du kein Wort gesprochen. Glaubst du, daß es ihr besser geht?«
    Amanda sieht ihn kaum an.
    »Hör auf, John! Du weißt genau, daß es deiner Schwester nicht besser gehen kann. Wenn wir ihr dieses Spielzeug nicht wegnehmen, wird sie vollkommen verrückt.«
    »Schweig!« unterbricht sie John.
    »Schön, ich schweige.«
    »Ich habe dich nur gefragt, ob es ihr besser geht.«
    »Nein«, antwortet Amanda mit harter Stimme, »überhaupt nicht.«
    Er beginnt, mit langsamen Schritten und auf dem Rücken verschränkten Händen um den Fauteuil herumzugehen.
    »Ich habe heute früh mit Doktor Schuppe darüber gesprochen.«
    Amanda unterbricht die rhythmischen Bewegungen der Feile. »Das halte ich für unvernünftig. Unter anderem deshalb, weil Doktor Schuppe kein Psychiater ist.«
    »Das weiß ich. Aber er kann immerhin seine Ansicht äußern.«
    Amanda zuckt die Achseln, und da John schweigt, fragt sie scheinbar gleichgültig:
    »Na und, was hat Doktor Schuppe gemeint?«
    »Zuerst hat er mir nicht geglaubt. Er wäre bereit, jeden Betrag zu bezahlen, wenn er einen Blick auf Viktor werfen dürfte.«
    Amanda hebt mit einem Ruck den Kopf. »John!« ruft sie verächtlich. »Bitte bezeichne ihn nicht mehr mit diesem Namen! Mach die Komödie nicht mit, die deine Schwester aufführt!«
    John preßt die Lippen aufeinander und fährt sich unbehaglich mit dem Finger über die Wangen.
    »Wie du willst«, meint er trocken. »Ich habe ihn unabsichtlich so genannt. Doktor Schuppe hat mir jedenfalls geraten, nicht einzugreifen, im Augenblick ist es besser, wenn man Edith diese Illusion läßt, wenigstens bis …«
    »Bis sie vollkommen verrückt ist«, schließt Amanda.
    John schlägt jetzt mit der Faust auf die offene Handfläche.
    »Was soll ich tun?« seufzt er verzweifelt. »Schließlich und endlich handelt es sich um meine Schwester. Sie bringt sich vielleicht um, wenn wir ihn ihr wegnehmen. Ja, sie begeht sicherlich Selbstmord. Du willst nicht einsehen, daß Viktor für sie alles bedeutet, daß … Uff! Ich verstehe überhaupt nichts mehr, diese Geschichte geht mir allmählich auf die Nerven.«
    Amanda setzt sich auf die Lehne des Sofas, streckte ein Bein aus und betrachtet ihr Pantöffelchen. »Edith geht es schlecht. Das willst du nicht einsehen. Hast du bemerkt, wie blaß sie ist? Sie geht nie aus, sie schließt sich in ihre vier Wände ein und läßt ihn nicht aus den Augen. Und noch etwas: Edith will nicht, daß wir sie besuchen.«
    »Das stimmt, auch ich habe es bemerkt. Nach einer halben Stunde wird sie nervös und beginnt zu gähnen. Sie wollte, daß ich das Studio von … Na ja, sie wollte, daß ich mich vollkommen natürlich mit ihm unterhalte. Ich bringe es nicht fertig, Amanda.«
    »Das glaube ich dir. Außerdem ist das Haus jetzt so düster, die Läden bleiben immer geschlossen und die schweren, alten, roten Plüschgardinen zugezogen.«
    »Ja«, bestätigt John leise. »Und die Musik … Sie spielt den ganzen Tag Musik, die zwei- oder dreihundert Jahre alt ist. Debussy und Strawinsky, etwas anderes gibt es nicht für sie. Debussy, Strawinsky und Beethoven. Es ist zum Verrücktwerden.«
    »Viktor verehrte diese Komponisten.« Amanda legt die Feile auf das Tischchen, streckt die

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