Wassermelone: Roman (German Edition)
das war. Manchmal suchen sich Menschen ihre Opferrolle nicht aus und fallen trotzdem einem Übel zum Opfer. Sie können nichts dazu. Es war sicherlich nicht meine Schuld, dass mein Mann glaubte, sich in eine andere verliebt zu haben. Ich hatte nicht damit gerechnet, und ich wollte auf keinen Fall, dass so etwas geschah. Aber es war geschehen.
In dem Augenblick begriff ich, dass das Leben besondere Umstände nicht respektiert. Die Macht, die uns Katastrophen in den Weg schleudert, sagt nicht: »Schön, dieses Jahr kriegt sie den Knoten in der Brust nicht. Sie soll sich erst mal vom Tod ihrer Mutter erholen.« Sie tut, wonach ihr ist und wann ihr danach ist. Ich begriff, dass niemand vor einer Anhäufung von Katastrophen sicher ist. Selbstverständlich hielt ich es nicht für eine Katastrophe, ein Kind zu bekommen, aber man konnte eine Geburt ja wohl unter der Überschrift umwälzendes Ereignis einordnen.
Ich hatte stets die Meinung vertreten, ich hielte mein Leben in der Hand und wäre imstande, sofern mir oder James – Gott behüte – je etwas zustieße, mit einem gewissen Aufwand an Zeit und Energie die Dinge in Ordnung zu bringen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich binnen vierundzwanzig Stunden nach der Geburt meines ersten Kindes sitzengelassen würde, zu einem Zeitpunkt, da sich meine Energien auf einem nie gekannten Tiefpunkt befanden und meine Verwundbarkeit einen nie dagewesenen Höchstwert erreicht hatte.
Ganz davon zu schweigen, dass ich unsagbar dick war. Ein dicker Hintern hatte James noch nie gelockt.
Schweigend saß Judy auf meiner Bettkante, und wir versuchten uns etwas einfallen zu lassen. Mit einem Mal hatte ich die Lösung. Es mochte nicht unbedingt die Lösung sein, aber es war eine Lösung, die es mir erlaubte, einstweilen weiterzumachen.
»Ich weiß, was ich tu«, sagte ich. Ich konnte richtig hören, wie Judy voll Inbrunst Gott sei Dank dachte.
Wehmütig sagte ich – wie Scarlett O’Hara am Ende von Vom Winde verweht – : »Ich kehre zurück. Zurück nach Dublin.«
Sicher, ›Dublin‹ klingt nicht ganz so wie ›Tara‹, aber was für einen Sinn hätte es gehabt, wenn ich nach Tara zurückgekehrt wäre? Dort kannte ich niemanden. Ich war erst ein- oder zweimal auf meinem Weg nach Drogheda durchgekommen.
2
E in paar Tage später holte mich Judy vom Krankenhaus ab. Sie hatte für mich und die Kleine einen einfachen Flug nach Dublin gebucht und brachte mich in meine Wohnung, damit ich ein paar Sachen zusammenpacken konnte.
Von James hatte ich noch nichts gehört. Ich bewegte mich in trübseliger Benommenheit durch den Tag.
Manchmal konnte ich es einfach nicht glauben. Alles, was er mir gesagt hatte, kam mir vor wie ein Traum. Ich konnte mich nicht an die Einzelheiten erinnern, wohl aber an das Übelkeit verursachende Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmte.
Manchmal aber tauchte der Verlust in einer Gastrolle auf.
Er machte sich in mir breit. Er war wie eine Kraft, die das Leben aus mir vertrieb und mir den Atem nahm. Er war gefährlich und grausam, er hasste mich. Das musste er wohl, wenn es mir solche Schmerzen verursachen konnte.
Ich weiß nicht mehr genau, wie ich die wenigen Tage im Krankenhaus hinter mich brachte. Ich erinnere mich undeutlich, dass es mich durcheinanderbrachte, wie all die anderen jungen Mütter von einem grundlegenden Wandel in ihrem Leben sprachen und davon, dass es nie wieder um sie allein gehen würde. Sie sprachen davon, wie schwierig es sei, ihr Leben auf das Kind einzustellen und so weiter.
Nur verstand ich nicht, wo da das Problem lag. Ich konnte mir schon jetzt ein Leben ohne mein Kind nicht vorstellen. »Wir beide, du und ich, Schätzchen«, flüsterte ich ihr zu. Vermutlich hat es unseren Verschmelzungsprozess beschleunigt, dass uns der Mann in unserem Leben verlassen hatte. Nichts bringt die Menschen einander so nahe wie eine Krise, wie es so schön heißt.
Ich verbrachte viel Zeit damit, ganz still zu sitzen und die Kleine zu halten. Ich berührte ihre winzigen Puppenfüßchen, ihre vollkommenen rosa Miniaturzehen, ihre fest geschlossenen Fäustchen, ihre samtweichen Öhrchen, streichelte zärtlich die feine Haut ihres unglaublich kleinen Gesichts, fragte mich, welche Farbe ihre Augen wohl annehmen würden.
Sie war so schön, so vollkommen, ein solches Wunder.
Ich hatte von allen Seiten gehört, dass ich damit rechnen müsse, überwältigende Liebe zu meinem Kind zu empfinden, ich war also gewarnt. Aber nichts hätte mich auf
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