Wassermelone: Roman (German Edition)
diese Intensität vorbereiten können, auf das Gefühl, dass ich imstande wäre, jeden umzubringen, der die blonden Haarbüschelchen auf ihrem weichen kleinen Kopf auch nur berührte.
Dass James mich verlassen hatte, konnte ich verstehen – nun, eigentlich nicht –, aber völlig unverständlich war mir, wie er dies wunderschöne, vollkommene kleine Kind im Stich lassen konnte.
Die Kleine weinte viel. Aber darüber kann ich nicht wirklich klagen, denn das tat ich auch. Ich versuchte, sie immer wieder zu beruhigen, aber sie hörte nur selten auf. Nachdem sie am ersten Tag acht Stunden am Stück geweint und ich ihre Windel hundertzwanzigmal gewechselt und sie neunundvierzigtausendmal gefüttert hatte, wurde ich allmählich hysterisch und verlangte, dass ein Arzt nach ihr sah.
»Irgendetwas kann mit ihr nicht stimmen«, erklärte ich dem erschöpft dreinblickenden jungen Mann, der sich als Arzt vorgestellt hatte. »Sie kann unmöglich hungrig sein, sie hat sich auch nicht in die Windel gemacht, aber sie hört einfach nicht auf zu schreien.«
»Nun, ich habe sie untersucht, und soweit ich sehen kann, fehlt ihr absolut nichts«, erklärte er mir geduldig.
»Aber warum schreit sie dann?«
»Weil sie ein Säugling ist«, sagte er. »Das tun sie alle.« War das alles, was ihm nach sieben Jahren Medizinstudium dazu einfiel? Er überzeugte mich damit nicht. Vielleicht schrie sie, weil sie irgendwie spürte, dass ihr Dad sie im Stich gelassen hatte. Vielleicht aber schrie sie einfach – nagendes Schuldgefühl –, weil ich sie nicht stillte. Vielleicht hatte sie grundsätzliche Vorbehalte gegen das Fläschchen. Mir ist klar, dass Sie jetzt wahrscheinlich empört sind, weil ich nicht stillte, und vermutlich halten Sie mich für eine Rabenmutter. Aber schon lange bevor ich mein Kind bekam, fand ich es in Ordnung, dass ich meinen Körper zurückverlangen konnte, nachdem ich ihn neun Monate hergeliehen hatte. Mir war klar, dass mir jetzt, da ich Mutter war, meine Seele nicht mehr gehörte. Aber eigentlich hatte ich gehofft, dass mir meine Brustwarzen gehörten. Und, ich schäme mich, es zu sagen, ich fürchtete, dass meine Brust, wenn ich mein Kind stillte, verschrumpeln und unansehnlich werden würde.
Jetzt, in Gegenwart meines wundervollen, vollkommenen Kindes, kamen mir meine Bedenken wegen des Stillens kleinlich und egoistisch vor. Alles ändert sich, wenn eine Frau ein Kind zur Welt bringt. Ich hätte nicht geglaubt, dass ich den Tag erleben würde, an dem ich die Bedürfnisse eines anderen Menschen für wichtiger halten würde als die Verlockung, die von meinen Brüsten ausging.
Wenn also mein kleines Schätzchen nicht bald zu schreien aufhörte, würde ich darüber nachdenken, es zu stillen. Wenn es sie glücklich machte, würde ich mich mit rissigen und tropfenden Brustwarzen abfinden und auch damit, dass kichernde dreizehnjährige Jungen im Bus einen Blick auf meine Titten zu erhaschen versuchten.
Mit Judy und der Kleinen ging ich nach Hause. Ich schloss auf, und obwohl ich wusste, dass James ausgezogen war, war ich nicht auf die kahlen Stellen im Badezimmer, den leeren Kleiderschrank und die Lücken im Bücherregal gefasst.
Es war einfach entsetzlich.
Langsam setzte ich mich auf unser Bett. Das Kissen roch noch nach ihm, und er fehlte mir so sehr.
»Ich kann es nicht glauben«, schluchzte ich. »Er ist wirklich fort.«
Auch die Kleine fing an zu weinen, als spüre sie ebenfalls die Leere. Dabei hatte sie erst vor fünf Minuten damit aufgehört. Die arme Judy war hilflos. Sie wusste nicht, wen von uns beiden sie trösten sollte. Nach einer Weile hörte ich auf zu weinen und wandte Judy langsam mein tränenüberströmtes Gesicht zu. Ich fühlte mich erschöpft vor lauter Kummer.
»Na schön«, sagte ich. »Packen wir.«
»Gut«, flüsterte sie und schaukelte nach wie vor tröstend mich und das Kind in den Armen.
Ich begann, einiges in eine große Reisetasche zu werfen. Ich packte alles ein, wovon ich glaubte, ich würde es brauchen. Ich machte mich daran, einen Stapel Wegwerfwindeln von der Größe eines kleineren südamerikanischen Staates mitzuschleppen, aber Judy meinte, ich sollte sie dort lassen. »Die gibt es auch in Dublin«, erinnerte sie mich freundlich. Ich warf Trinkfläschchen in die Tasche, einen Flaschenwärmer mit einem Abziehbild von einer Kuh, die über den Mond sprang, Schnuller, Spielzeug, Rasseln, Strampelanzüge, Söckchen so groß wie Briefmarken, und was mir noch für mein armes
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