Wassermelone: Roman (German Edition)
Liebe hatte sich seines Körpers bemächtigt. Ich wusste nicht, wohin mein James verschwunden war.
Vielleicht war er zusammen mit Peggy-Jo im Raumschiff der Außerirdischen.
»Das meiste von meinen Sachen habe ich schon weggebracht«, sagte er. »Ich melde mich. Mach’s gut.«
Er machte auf dem Absatz kehrt und verließ die Wöchnerinnenstation fast im Laufschritt. Am liebsten wäre ich ihm nachgerannt, aber der Dreckskerl wusste, dass ich dank mehrerer Stiche, mit der man den Dammschnitt genäht hatte, fest im Bett liegenbleiben musste. Dann war er fort.
Eine ganze Weile lag ich stocksteif da. Ich war wie betäubt, entsetzt und fassungslos, konnte es nicht glauben. Doch war da sonderbarerweise etwas, das mich veranlasste, den Vorfall zu glauben, ein Gefühl, das mir fast vertraut war.
Wirklich vertraut konnte es nicht sein, da mich noch nie zuvor ein Ehemann verlassen hatte. Aber da war etwas. Ich vermute, dass es im Hirn eines jeden Menschen, auf jeden Fall in meinem, etwas gibt, das ständig von einem Felsennest hoch in den Bergen Ausschau nach möglichen Gefahren hält. Es meldet dem übrigen Gehirn, wenn sich Schwierigkeiten ankündigen. Auf der Gefühlsebene ist das wohl die Entsprechung von ›Die Indianer greifen an‹. Je mehr ich darüber nachdachte, desto deutlicher wurde mir, dass dieser Teil meines Gehirns vermutlich schon seit Monaten Licht- und Rauchsignale ausgesandt hatte. Aber mein übriges Hirn hielt sich bei der Wagenburg unten im angenehm grünen Tal der Schwangerschaft auf und wollte von der bevorstehenden Gefahr nichts wissen. Also achtete es einfach nicht auf die Botschaften, die ihm galten.
Gewiss, James war während des größten Teils meiner Schwangerschaft ziemlich unglücklich gewesen. Das hatte ich auf meine Stimmungsumschwünge geschoben, meinen beständigen Heißhunger und meine übertriebene Sentimentalität, die dazu führte, dass ich über alles heulte, sogar über lächerliche Fernsehserien.
Natürlich war auch unser Geschlechtsleben deutlich eingeschränkt gewesen. Aber ich war davon ausgegangen, dass alles wieder normal würde, sobald das Kind auf der Welt war. Normal, nur besser als zuvor.
James’ Trübsal schien mir einfach mit meiner Schwangerschaft und den damit verbundenen Nebenwirkungen zusammenzuhängen, doch fällt mir im Rückblick auf, dass ich vielleicht manches übersehen hatte, was ich nicht hätte übersehen dürfen.
Was also sollte ich tun? Ich wusste nicht einmal, wo er sich aufhielt. Mein Gefühl riet mir, ihn eine Weile in Ruhe zu lassen. Geh auf ihn ein, tu so, als ob du ihn verstehst.
Ich konnte es kaum glauben.
Wie kam er dazu, mich zu verlassen? Normalerweise reagierte ich auf Kränkungen oder Verrat damit, dass ich das Kriegsbeil ausgrub, aber irgendwie war mir klar, dass das in dieser Situation nichts fruchten würde. Ich musste gelassen und bei klaremVerstand bleiben, bis sich eine Möglichkeit ergab zu entscheiden, was ich tun konnte.
Eine Krankenschwester trat auf quietschenden Gummisohlen an mein Bett. Sie blieb stehen und lächelte mir zu. »Wie fühlen Sie sich?«, fragte sie.
»Ganz gut«, sagte ich, weil ich wollte, dass sie wieder verschwand.
»Ich nehme an, Ihr Mann wird später kommen, um Sie und das Kind zu sehen«, sagte sie.
»Darauf würde ich nicht wetten«, antwortete ich bitter.
Sie sah mich erstaunt an und ging rasch zu einer der netten, freundlichen, höflichen Mütter, wobei sie mit ihrem Kugelschreiber klickte und mir über die Schulter nervöse Blicke zuwarf.
Ich beschloss, Judy anzurufen.
Sie war, seit wir achtzehn waren, meine beste Freundin. Wir waren von Dublin gemeinsam nach London gegangen, und sie war meine Trauzeugin gewesen. Mit dieser Sache wurde ich nicht allein fertig. Sie würde mir sagen, was ich tun könnte. Mit äußerster Vorsicht schob ich mich aus dem Bett und ging ans Münztelefon, so rasch die bewusste Dammschnittnaht das zuließ.
Sie nahm sofort ab.
»Hallo, Claire«, sagte sie. »Gerade wollte ich auf einen Sprung vorbeikommen.«
»Gut«, sagte ich. Gott weiß, ich wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen und hätte ihr alles über James und seinen Weggang gesagt, aber hinter mir wartete eine Schlange von Frauen in rosa Frottee-Morgenmänteln (zweifellos wollten sie ihre ihnen ergebenen Männer anrufen), und ich hatte wider Erwarten noch einen Rest Stolz im Leibe.
Eingebildete Schnepfen, dachte ich säuerlich und (wie ich zugeben muss) verärgert, während ich mich in mein Bett
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