Wassermelone: Roman (German Edition)
seine Schuhspitzen, zur Decke und auf meine Limonadenflasche.
»Du liebst mich also nicht mehr?«, fragte ich schließlich.
»Ich weiß nicht. Ich glaube nicht«, gab er zur Antwort.
»Und was ist mit der Kleinen?«, fragte ich benommen. Er konnte mich unmöglich verlassen, schon gar nicht jetzt, wo wir ein gemeinsames Kind hatten. »Du musst dich um uns beide kümmern.«
»Es tut mir leid, aber das kann ich nicht«, sagte er. »Ich werde dafür sorgen, dass die finanzielle Seite geregelt wird. Auch wegen der Wohnung, der Hypothek und allem werden wir eine Lösung finden, aber ich muss gehen.«
Ich konnte nicht glauben, dass wir dieses Gespräch führten. Wovon zum Teufel redete er? Was sollte der Blödsinn mit Wohnung, Geld, Hypothek und dem ganzen Kram? Üblicherweise hätten wir uns jetzt mit der Kleinen beschäftigen und uns freundschaftlich darüber streiten müssen, welchen Großeltern sie ähnlicher sah. Aber James, mein James, sprach davon, mich zu verlassen. Wer ist hier zuständig? Ich möchte mich über mein Leben beschweren. Ich hatte ausdrücklich ein glückliches Leben mit einem liebenden Mann bestellt, passend zu meinem neugeborenen Kind. Wieso drückte man mir jetzt statt dessen diese minderwertige Karikatur auf?
»Großer Gott, Claire«, sagte er. »Es fällt mir wirklich nicht leicht, dich so im Stich zu lassen. Aber wenn ich jetzt mit dir und dem Kind nach Hause gehe, komme ich nie von euch los.«
Das sollst du ja auch gar nicht, dachte ich verwirrt.
»Ich weiß, dass es keinen passenden Zeitpunkt gibt, dir so was zu sagen. Als du schwanger warst, ging es nicht, weil du sonst vielleicht das Kind verloren hättest. Also muss ich es jetzt sagen.«
»James«, sagte ich schwach. »Das ist alles vollkommen verrückt.«
»Ich weiß«, stimmte er zu. »Du hast in den letzten vierundzwanzig Stunden viel durchgemacht.«
»Warum warst du bei der Geburt dabei, wenn du mich von vornherein im Stich lassen wolltest, kaum dass es vorüber ist?«, fragte ich ihn und fasste seinen Arm, damit er mich ansah.
»Weil ich es versprochen hatte«, sagte er und schüttelte meine Hand ab. Wie ein geprügelter Schuljunge sah er beiseite.
»Weil du es versprochen hattest?«, fragte ich und versuchte zu verstehen, was das Ganze sollte. »Aber du hast mir viel versprochen. Beispielsweise mich zu lieben und zu achten, bis dass der Tod uns scheidet.«
»Das Versprechen kann ich nicht halten«, murmelte er. »Tut mir wirklich leid.«
»Und wie soll es weitergehen?«, fragte ich benommen. Keine Sekunde akzeptierte ich auch nur ein Wort von dem, was er sagte. Aber die Musik spielt auch dann weiter, wenn niemand auf der Tanzfläche ist. Zwischen mir und James lief etwas ab, was ein unbeteiligter außenstehender Beobachter als Unterhaltung ansehen mochte. Aber es war keine, denn ich meinte kein Wort von dem, was ich sagte, und akzeptierte nichts von dem, was er sagte. Als ich ihn fragte, wie es weitergehen würde, brauchte ich keine Antwort. Ich wusste, wie es weitergehen würde. Er würde mit mir und dem Kind nach Hause kommen, und damit wäre Schluss mit diesem Unsinn.
Ich war überzeugt, dass er merken würde, wie absurd es war, auch nur an eine Trennung zu denken, wenn ich es nur schaffte, dass er bei mir blieb, und ihn dazu brachte weiterzureden.
Er stand auf. Er war zu weit entfernt, als dass ich nach ihm hätte greifen können. Er trug einen schwarzen Anzug (wir hatten früher oft darüber gescherzt, dass er ihn trug, wenn er bei Konkursen Firmen liquidieren musste), und er sah entschlossen und bleich aus. In gewisser Hinsicht war er mir nie schöner erschienen.
»Ich sehe, du trägst deinen Leichenbestatter-Anzug«, sagte ich bitter. »Hübscher Einfall.«
Er machte sich nicht einmal die Mühe zu lächeln. In dem Augenblick begriff ich, dass ich ihn verloren hatte. Er sah aus wie James, er klang wie James, roch wie James, aber er war nicht James.
Es war wie in einem Science-Fiction-Film aus den fünfziger Jahren, in dem ein außerirdisches Wesen in den Körper der Freundin des Helden schlüpft – von außen sieht sie aus wie immer (rosa Angorapullover, niedliches Handtäschchen, so spitzer BH, dass sie damit einer Spinne das Auge ausstechen könnte, und so weiter) –, aber ihre Augen haben sich verändert.
Ein flüchtiger Beobachter würde eventuell immer noch denken, dass es sich um meinen James handelte, aber der Blick in seine Augen hatte mir gezeigt, dass er fort war. Irgendein kalter Fremder ohne
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