Wassermelone: Roman (German Edition)
– ich wollte ihn mit beiden Händen festhalten.
»Mein Gott, Claire, was hast du nur?«, schimpfte meine Mutter, als ich wieder einen anderen Sender einschaltete. »Kannst du nicht stillsitzen? Man könnte glauben, du hast Hummeln in der Hose.«
»Tut mir leid, Mum.«
In dem Augenblick klingelte das Telefon.
»Aua, mein Fuß!« Dad jaulte wie ein Hund, dessen Schwanz in der Tür eingeklemmt ist, als ich losstürmte und dabei mehrere seiner Mittelfußknochen zertrümmerte. »Pass doch um Gottes willen auf, wo du hintrittst.«
»Hallo«, keuchte ich in den Apparat.
»Ist dein Vater da?«, fragte eine undeutliche Stimme am anderen Ende.
»Dad«, rief ich. »Daaad! Tante Julia für dich.«
Der Teufel soll sie holen, dachte ich.
Jetzt würde er stundenlang telefonieren.
Wenn Tante Julia betrunken war und anrief, war es unmöglich, das Gespräch zu beenden.
Gewöhnlich rief sie an, um sich für etwas zu entschuldigen, das sie getan hatte, wie beispielsweise bei einem Ballspiel mogeln, das gerade mal fünfundvierzig Jahre zurücklag.
Warum mache ich mir überhaupt Sorgen, ob das Telefon frei ist oder nicht?, fragte ich mich, indem ich meinem Vater elegant auswich, als er knurrend an mir vorbeihumpelte. Hatte irgend jemand gesagt, Adam würde anrufen?
Erwartete ich Anrufe? Nein und nochmals nein.
Aber ein kleines Fünkchen in meinem Inneren hoffte, dass er vielleicht, ganz vielleicht, anrufen könnte. Gesagt hatte er allerdings nichts davon. Aber er könnte es vielleicht tun. Ich setzte mich in die Diele, um Dads Gespräch mit Tante Julia mitzuhören. Gewöhnlich war das ganz unterhaltsam, wenn auch etwas absonderlich.
Wie lange dieser kleine Plausch wohl dauern mochte?
»Jetzt hör mir mal zu, Julia«, sagte mein Vater ganz aufgeregt.
Ach je, das muss aber wieder mal ein furchtbar wichtiges Ballspiel gewesen sein, wenn Dad sich so darüber aufregen konnte.
»Mach ein Küchenhandtuch nass, und wirf es sofort drüber«, donnerte er ins Telefon.
Großer Gott, dachte ich, als ich begriff, dass Tante Julia offenbar im Begriff stand, ihr Haus abzufackeln, und nicht anrief, um lang, reumütig, gewunden und betrunken zu monologisieren.
»Nein, unter den Wasserhahn, Julia, unter den Wasserhahn!«, schrie Dad.
Wie in drei Teufels Namen hatte sie denn das Küchenhandtuch nass machen wollen? Am besten gar nicht darüber nachdenken.
»So, Julia, ich leg jetzt auf, und du tust dasselbe«, sagte Dad langsam und betont, als spreche er mit einer Vierjährigen. »Dann wählst du 112. Das ist die Feuerwehr«, fuhr er fort. »Danach rufst du mich wieder an und sagst mir, dass du da angerufen hast und sie auf dem Weg zu dir sind.«
Er knallte den Hörer auf die Gabel und lehnte sich an die Wand.
»Großer Gott«, sagte er erschöpft.
»Was hat sie denn jetzt wieder angestellt?«, fragte meine Mutter, die in der Diele aufgetaucht war.
»Irgendwie hat sie mit ihrem Gasherd was in Brand gesetzt und kann es nicht mehr löschen«, seufzte mein Vater. »Hört das denn nie auf?«
Das Telefon klingelte.
»Bestimmt ruft sie jetzt zurück«, sagte Dad, als Mum nach dem Hörer griff.
»Hallo«, sagte meine Mutter.
Dann änderte sich ihr Gesichtsausdruck.
»Ja, sie ist da. Wer spricht bitte?«
»Adam, für dich«, sagte sie und gab mir den Hörer mit ausdrucksloser Miene.
»Oh«, sagte ich und atmete erleichtert aus, während ich ihn nahm.
Darauf hatte ich den ganzen Abend gewartet, ohne mir selbst darüber klar zu sein.
»Hallo«, sagte ich. Zwar war ich begeistert, bemühte mich aber, es vor Mum und Dad zu verbergen.
»Wie geht es dir?«, fragte er mit seiner wunderbaren Stimme.
»Gut«, gab ich ein wenig verlegen zurück. Meine Eltern standen nach wie vor in der Diele und sahen mir zu.
»Verzieht euch«, zischte ich ihnen zu und wedelte mit dem freien Arm.
»Leg auf!«, knurrte mein Vater. »Wir haben einen Notfall.«
»Noch eine Minute«, sagte ich.
»Aber wirklich nur eine«, sagte er drohend.
Dann kehrten beide zögernd ins Wohnzimmer zurück.
»Tut mir leid«, sagte ich, als die beiden verschwunden waren, »eine belanglose Familienkrise.«
»Es fehlt doch hoffentlich keinem was?«, fragte er besorgt.
»Nein, nein«, sagte ich. Jetzt war ich besorgt. Machte er sich etwa Gedanken wegen Helen? Wegen seiner Freundin Helen?
»Ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich anrufe«, fuhr er fort. »Ich möchte dich nicht belästigen. In dem Fall sag einfach Bescheid, und ich hör auf.«
Nur zu, belästige mich,
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