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Wassermelone: Roman (German Edition)

Wassermelone: Roman (German Edition)

Titel: Wassermelone: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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verzerrten halben Lächeln und sagte nach einer verlegenen Pause ausdruckslos: »Guten Tag, Claire, wie geht’s dir?«
    »Gut.« Ich lächelte ein wenig – aus Höflichkeit. »Komm doch rein.«
    Er trat in die Diele, und ich wäre fast vor Übelkeit in Ohnmacht gefallen.
    Es war eine Sache, gelassen mit ihm zu telefonieren, aber es war sehr viel schwieriger, ihm in Fleisch und Blut gegenüberzustehen.
    So unangenehm das alles war, ich musste mich wie ein erwachsener Mensch verhalten. Die Tage, da ich weinend in mein Zimmer gerannt war, lagen in weiter Vergangenheit.
    Er selbst sah auch nicht besonders glücklich aus.
    Mir war klar, dass er mich nicht mehr liebte, aber er war nur ein Mensch. Jedenfalls vermutete ich das. Und so musste auch ihn dieser besondere Anlass zwangsläufig mitnehmen.
    Doch ich kannte James. Er würde sein Gleichgewicht in null Komma nichts wiederfinden. Das musste auch ich tun.
    So fragte ich freundlich: »Soll ich dein Jackett aufhängen?«, als wäre er jemand, der mir eine Zentralheizung verkaufen wollte.
    »Warum nicht«, sagte er zögernd, arbeitete sich aus dem Jackett heraus und gab es mir mit großer Vorsicht, wobei er übermäßig darauf zu achten schien, dass sich unsere Hände nicht berührten.
    Er warf einen sehnsuchtsvollen Blick auf sein Jackett, als wollte er es sich in allen Einzelheiten einprägen, bevor es auf Nimmerwiedersehen verschwand. Wovor hatte er Angst?
    Ich würde ihm sein verdammtes Jackett schon nicht stehlen. Dazu war es nicht schick genug.
    »Augenblick, ich häng es nur schnell auf«, sagte ich. Zum ersten Mal trafen sich unsere Blicke richtig.
    Er betrachtete mein Gesicht flüchtig und sagte: »Du siehst gut aus.« Das sagte er mit der gleichen Art von Begeisterung, die ein Leichenbestatter gewöhnlich für jemanden parat hat, der einen schrecklichen Autounfall gegen alle Erwartungen überlebt. »Ja«, nickte er, ein wenig überrascht. »Du siehst tatsächlich gut aus.«
    »Warum auch nicht?« Ich schenkte ihm ein wissendes Lächeln, in das ich – so hoffte ich jedenfalls – zu gleichen Teilen Würde und Ironie legte.
    Die Botschaft war: Ich bin ein vernünftiger Mensch und werde darüber hinwegkommen, dass du mich verletzt und erniedrigt hast und mich nicht mehr liebst.
    Womit ich das ganze traurige Durcheinander fast als Witz hinstellte und ihn – dessen Verursacher – gewissermaßen aufforderte, mit in mein Lachen einzustimmen.
    Ich konnte nicht glauben, dass ich das zuwege gebracht hatte. Ich war mit mir ziemlich zufrieden. Auch wenn ich, Gott ist mein Zeuge, weder übermäßig gelassen noch besonders freundlich gestimmt war, würde ich ihm das recht überzeugend vorspielen.
    Er schien die Sache aber nicht so unterhaltsam zu finden, wie ich sie hinzustellen versuchte. Er warf mir einen kalten Blick zu. Wieder musste ich an einen Leichenbestatter denken. Der elende Schweinehund.
    Wenn ich schon bereit war, die ganze Sache freundlich und zivilisiert abzuhandeln, konnte er das doch sicher auch. Was hatte er schon zu verlieren?
    Vielleicht hatte er eine schöne Rede in petto über das Thema, wie ich seinenVerlust verwinden würde, dass er nicht gut genug für mich sei, wir nie wirklich zueinandergepasst hätten und ich ohne ihn besser zurechtkäme. Vielleicht war er enttäuscht, dass er keine Gelegenheit haben würde, sie zu halten.
    Wahrscheinlich hatte er sich vor den Spiegel in seinem Zimmer im The Liffey Side gestellt (Gütesiegel des Irischen Tourismusverbandes, Zimmer mit Dusche, Tee- und Kaffeemaschine in allen Zimmern, Kabelfernsehen, auf Wunsch in den frühen Morgenstunden Straßenschlägereien von Betrunkenen unter dem Zimmerfenster) und geübt, wie er flehend die Arme um mich werfen würde, während er mir mit von Rührung erstickter Stimme mitteilte, dass er mich zwar noch gut leiden könne, aber eben nicht mehr liebe .
    Wir blieben einige Sekunden in der Diele stehen. James sah aus, als wäre seine gesamte Familie gerade bei einem Überfall einer Horde Wilder ums Leben gekommen. Ich sah auch nicht besser aus. Die Spannung war fürchterlich.
    Mit den Worten »Komm doch ins Esszimmer. Da stört uns keiner, und wir haben den Tisch für Papiere und dergleichen«, ergriff ich wieder die Initiative. Sonst hätten wir den ganzen Tag nervös und mit bleichen Gesichtern dastehen und uns elend fühlen können.
    Entschlossen nickend ging er vor mir durch die Diele. Eine Frechheit! Warum sah er nur so verdammt verkniffen drein? Dazu hätte ja wohl ich

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