Wassermelone: Roman (German Edition)
das Recht gehabt.
Im Esszimmer lag Kate in ihrer Trageschale und sah sehr schön aus. Ich nahm sie auf und blieb stehen, während ich sie hielt, ihr Gesicht an meins gedrückt.
»Das ist Kate«, sagte ich einfach.
Er sah uns beide an. Da er dabei den Mund auf und zu klappte, ohne etwas zu sagen, sah er ein wenig aus wie ein Goldfisch. Ein bleicher, ernsthaft dreinblickender Goldfisch.
»Sie … ist gewachsen. Wie groß sie schon ist«, brachte er schließlich heraus.
»Das ist bei Säuglingen so«, bestätigte ich mit weisem Nicken. Und natürlich dem unausgesprochenen Vorwurf: »Wärest du Dreckskerl da gewesen, hättest du selbst sehen können, wie sie gewachsen ist.«
Aber ich sagte nichts. Es war nicht nötig. Er wusste es. Man konnte es deutlich auf seinem verlegenen und beschämten Gesicht lesen.
»Sie heißt also Kate?«, fragte er.
In mir stieg eine solche Welle der Wut auf, dass ich glaubte, ich müsste ihn umbringen. Nicht mal ihren Namen wusste er. Obwohl es viele Leute gab, die er hätte fragen können.
»Nach Kate Bush?«, fragte er – eine Sängerin, die ich zwar mochte, aber nach der ich nie im Leben mein erstgeborenes Kind genannt hätte.
»Ja«, stieß ich bitter hervor. »Nach Kate Bush.« Es war die Mühe nicht wert, ihn über die wahren Hintergründe aufzuklären. Es interessierte ihn ja doch nicht.
»Darf ich sie mal halten?«, fragte er. Ein Gedanke, der ihm offenbar gerade erst gekommen war. Unter anderen Umständen hätte man sagen können, dass er begeistert klang. So wie er aussah, waren meine Wut und Bitterkeit einfach über seinem glatt gescheitelten Kopf verpufft.
Ich wollte ihn anbrüllen: »Natürlich darfst du. Sie wartet seit zwei Monaten darauf. Du bist ihr verdammter VATER!« Aber ich beherrschte mich.
Als ich sie ihm gab, kam ich mir vor wie eine Verräterin, wie eine Mutter aus der dritten Welt, die sich durch ihre wirtschaftliche Lage gezwungen sieht, ihr Kind an den reichen Gringo zu verkaufen.
Mit einem Mal sah er aus, als wäre er geistig zurückgeblieben. Sein Gesicht bestand nur noch aus Grinsen, glänzenden Augen und ehrfürchtigem Staunen. Natürlich hielt er sie falsch.
Offenbar hatte er noch nie davon gehört, dass man das Köpfchen stützen muss. Leute, die nichts von Säuglingen wissen, halten sie so.
Ich weiß das, weil ich das am ersten Tag auch so gemacht hatte, bis mich eine der anderen Mütter, die es nicht mehr aushielt, dass Kate beständig brüllte, voll Überdruss aufklärte. (»Die Hand unter den Kopf!«)
Aber ich dachte nicht daran, Mitgefühl für James aufzubringen, weil er den gleichen Fehler machte.
Das arme Kind begann zu brüllen. Kein Wunder, wenn ein fremder Mann sie wie eine Teppichrolle hielt. Wer würde da nicht brüllen?
James sah ängstlich drein.
»Was fehlt ihr?«, fragte er. »Wie bringe ich sie dazu aufzuhören?« Das ehrfürchtige Staunen war verschwunden. An seine Stelle war nackte Angst getreten.
Ich hatte ja gewusst, dass das ganze freundliche Getue nicht lange dauern konnte: zu schön, um wahr zu sein.
»Da«, sagte er und gab sie mir. Er sah uns beide mit einem Ausdruck an, den man als Abscheu deuten konnte. In seiner Welt gab es offensichtlich keinen Platz für weinende Frauen. So war er schon immer gewesen.
Schließlich hatte er mich geheiratet. Und ich war nicht berühmt dafür, meine Tränen zu unterdrücken. Bloß nichts schlucken, war stets mein Wahlspruch.
Aber wie ich ihn jetzt so sah mit seinem betretenen Ausdruck, fragte ich mich – und offen gestanden, nicht zum ersten Mal –, was für ein Drecksack er geworden war.
»Ach je«, sagte ich mit beißendem Spott. »Sie scheint dich nicht zu mögen.« Ich lachte, als wäre das ein Scherz, und nahm sie ihm ab.
Er konnte sie nicht schnell genug loswerden. Ich beruhigte sie leise, und sie hörte auf zu weinen.
Einen Augenblick empfand ich bittere Befriedigung, dass sich Kate auf meine Seite geschlagen hatte – gegen ihn. Dann überkamen mich Trauer und Scham. James war Kates Vater. Eigentlich müsste ich alles in meiner Macht Stehende tun, dass die beiden gut miteinander auskamen.
Ich würde einen anderen Mann finden, den ich lieben konnte, aber Kate hatte nur den einen Vater.
»Tut mir leid.« Ich lächelte ihm entschuldigend zu. »Du bist eben fremd für sie. Gib ihr eine Chance. Sie hat Angst.«
»Du hast recht. Wahrscheinlich braucht sie ein bisschen Zeit«, sagte er. Es schien ihn ein wenig aufzumuntern.
»Genau«, versicherte ich ihm.
Weitere Kostenlose Bücher