Wassermelone: Roman (German Edition)
ich die Tür hinter mir ins Schloss zog.
Erst an der U-Bahn-Station brach ich in Tränen aus.
35
Ü ber die Fahrt nach Heathrow weiß ich nicht mehr viel. Ich war völlig benommen.
Ich wusste, dass ich das Richtige getan hatte. Zumindest nahm ich an, dass ich das Richtige getan hatte. Der Haken war, dass im wirklichen Leben Entscheidungen nie mit Hinweisschildern versehen sind. Es ist nicht so, dass das ewige Glück abonniert hat, wer in die eine Richtung abbiegt, und das Leben dessen in einer Katastrophe endet, der die andere Richtung nimmt. Im wirklichen Leben lässt sich oft kaum sagen, welche Entscheidung man treffen muss, weil das, was man gewinnt und was man aufs Spiel setzt, gelegentlich – häufig – dicht beieinanderliegen.
Wie hätte ich wissen können, ob ich richtig gehandelt hatte? Es wäre schön gewesen, wenn jemand mit einer Goldmedaille oder einem Pokal auf mich zugekommen wäre, mir die Hand geschüttelt, auf die Schulter geklopft und mich zur richtigen Entscheidung beglückwünscht hätte.
Ich wollte, dass mein Leben ablief wie ein Computerspiel. Wer sich falsch entscheidet, hat sein Leben verscherzt. Wer sich richtig entscheidet, gewinnt Punkte. Ich wollte es einfach wissen, wollte Sicherheit haben.
Immer wieder zählte ich mir die Gründe auf, warum es für mich und James keine Zukunft geben konnte. Er wollte aus mir einen Menschen machen, der ich nicht war. So wie ich war, war er mit mir nicht glücklich, und ich würde nicht glücklich sein, wenn ich mich so änderte, dass er glücklich war. Außerdem gefiel mir sein Heiligenkomplex nicht. Sollte ich zu ihm zurückkehren, wäre er glücklich, weil er dann annehmen würde, ich billigte alles, was er tat, so wie er bereits selbst sein Tun billigte. Wahrscheinlich würde beim ersten Streit in unserer neuen, verbesserten Ehe alles wieder aufbrechen. Mich hielt James für flatterhaft und unreif, dabei war er selbst aufgeblasen und scheinheilig. Für mich war es mit Sicherheit die beste Lösung, unsere Ehe zu beenden. Dennoch blieb Raum für leise Zweifel.
Ich überlegte, ob ich sie hätte retten können, wenn ich umgänglicher, stärker, freundlicher, energischer, geduldiger, gütiger, netter, gemeiner oder grausamer gewesen wäre, das Heft mehr in die Hand genommen oder den Mund gehalten hätte? Mit solchen Gedanken folterte ich mich.
Letzten Endes hatte ich die Entscheidung getroffen. Ich hatte gesagt, dass unsere Ehe nicht weitergehen könnte. Zwar war mir klar, dass mir James so recht keine Wahl gelassen hatte, aber trotzdem hatte die Entscheidung ich gefällt. Deshalb fühlte ich mich entsetzlich schuldig.
Dann befahl ich mir, nicht so albern zu sein. Sein Vorschlag war das Papier nicht wert, auf dem er nicht stand. Es wäre lediglich eine vorgespiegelte Beziehung zu seinen Bedingungen geworden, und sie hätte bestimmt nicht länger als eine Woche gehalten. Falls aber doch, wäre sie zu Lasten meines Glücks gegangen – ein Pyrrhussieg.
Immer mehr drehten sich meine Gedanken im Kreise, während mich die U-Bahn dem Flughafen entgegenschaukelte und ich mich in dieselben Gedankengänge verrannte.
Großer Gott! Wie mir dieses ganze Erwachsensein zuwider war! Ich hasste es, Entscheidungen treffen zu müssen, wenn ich nicht wusste, was mich hinter der nächsten Tür erwartete. Ich wollte eine Welt, in der sich Gut und Böse deutlich voneinander unterscheiden ließen. Eine Welt, in der schicksalsschwere Musik ertönt, sobald der Bösewicht auf der Leinwand erscheint, damit man es auch ja merkt.
Eine Welt, in der man sich entscheiden muss, ob man im von Düften durchwehten Park mit der schönen Prinzessin spielen oder vom abscheulichen Ungeheuer in der übelriechenden Grube gefressen werden möchte. Das fällt nicht schwer, was? Keine Entscheidung, über die man sich den Kopf zerbrechen müsste und die einen nachts nicht schlafen ließe.
Es ist nicht schön, Opfer zu sein, aber verdammt noch mal, es lässt die Dinge in ziemlich klarem Licht erscheinen. Zumindest weiß man, dass man im Recht ist.
Vermutlich war ich enttäuscht. Sehr enttäuscht. Ich hatte James einmal geliebt. Ich war nicht sicher, ob ich ihn noch liebte, oder, sofern das der Fall war, ob es noch dieselbe Art von Liebe war wie zuvor. Sich zu versöhnen wäre schöner gewesen, als sich nicht zu versöhnen, wenn Sie verstehen. Damit aber meine ich eine Versöhnung, die wirklich funktioniert hätte. Nicht irgendeinen sinnlosen Kompromiss.
Außerdem war ich traurig, dann
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