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Wassermelone: Roman (German Edition)

Wassermelone: Roman (German Edition)

Titel: Wassermelone: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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ich verließ nie das Haus.
    Währenddessen dachte ich immer an James. Ich träumte regelmäßig von ihm. Herrliche Träume, in denen wir noch zusammen waren. Wenn ich aufwachte, vergaß ich für einige Minuten, in ein herrliches warmes Glücksgefühl gehüllt, was vorgefallen war und wo ich mich befand. Wenn es mir dann wieder einfiel, war das wie ein Schlag in die Magengrube.
    Ich hatte nichts von James gehört. Absolut nichts. Ich hatte wirklich gedacht, er werde sich nach etwa einer Woche bei mir melden. Einfach um zu erfahren, wie es mir ging, oder zumindest, um sich nach Kate zu erkundigen. Ich konnte nicht glauben, dass sie ihn völlig gleichgültig ließ, unabhängig davon, wie er zu mir stand.
    Am traurigsten von allem war, dass er nicht einmal wusste, dass sie Kate hieß.
    Nach etwa fünf Tagen in Dublin rief ich Judy an. Ich fragte sie, ob James wisse, wo ich war. Mit angehaltenem Atem wartete ich auf ihre Antwort, weil ich hoffte, sie werde sagen, er wisse es nicht. Auf jeden Fall wäre das eine Erklärung dafür, warum er sich nicht gemeldet hatte. Aber betrübt sagte sie, er wisse es. Daraufhin fragte ich sie, obwohl es mich förmlich zerriss, ob er noch mit Denise zusammen sei. Wieder sagte sie ja.
    Es kam mir vor, als blute mein Inneres, als müsse ich verbluten.
    Ich dankte Judy, bat erneut um Entschuldigung, weil ich sie in eine so schwierige Situation gebracht hatte, und legte auf. Meine Hände zitterten, Schweiß stand mir auf der Stirn, ich war zu Tode betrübt.
    Manchmal meinte ich, James werde früher oder später zurückkommen. Ich bildete mir ein, er liebe mich so sehr, dass er einfach nicht über Nacht damit aufhören könne. Ich hielt es einfach für eine Frage der Zeit, bis er von Gewissensbissen gequält und außer sich vor Schuldgefühlen bei uns in der Tür stünde, um Frau und Kind zurückzuholen, voll Furcht, zu spät zu kommen. Bei dieser Aussicht wäre es angebracht gewesen, zu Ehren seines unmittelbar bevorstehenden Eintreffens aufzustehen, mir die Haare zu waschen, mich zurechtzumachen und vernünftig anzuziehen. Dann aber fiel mir wieder ein, was für ein eigensinniger Halunke das Geschick ist. Je schrecklicher ich aussah, desto größer die Chancen, dass James aus heiterem Himmel käme.
    Also behielt ich Nachthemd, Golfpullover und Wandersocken an. Ich hätte nicht gewusst, was ein Lippenstift ist, wenn er mir ins Gesicht gesprungen wäre und mich gebissen hätte.
    Oft hatte ich das Bedürfnis, James anzurufen, und immer mitten in der Nacht. Mich packte dann eine entsetzliche Panik angesichts meines gewaltigen Verlustes. Aber ich hatte keine Vorstellung, wie ich ihn hätte erreichen können. Ich hatte es nicht über mich gebracht, mich so weit zu demütigen, Judy um die Telefonnummer der Wohnung zu bitten, die er mit Denise teilte. Ich hätte ihn tagsüber im Büro anrufen können, aber die große Angst und der Wunsch, mit ihm zu reden, meldeten sich nie tagsüber. Worüber ich wirklich froh war. Welchen Sinn hätte es, ihn anzurufen? Was hätte ich ihm sagen können?
    »Liebst du mich noch? Liebst du Denise noch?« Darauf würde er antworten: »Frage eins – nein, Frage zwei – ja. Danke für den Anruf. Auf Wiedersehen.«

    Die Zeit verging. Ganz allmählich verwandelten sich meine Empfindungen. Die Wüstenlandschaft ändert sich nach und nach in dem Maße, in dem der darüber hinwegstreichende Wind Sandkörner von einem Ort zum anderen trägt, manchmal nur einige Meter weit, manchmal viele Kilometer. Schließlich unterscheidet sich bei Sonnenuntergang das Gesicht der Wüste deutlich von dem am Morgen bei Sonnenaufgang. Auf ähnliche Weise änderten sich in mir winzige Kleinigkeiten.
    Sie waren so unbedeutend, dass ich sie kaum wahrnahm, während sie vor sich gingen.
    Das bleierne Gewicht der Hoffnungslosigkeit hatte sich zwar nicht von mir gehoben. Aber etwas anderes war geschehen. Meine Damen und Herren, heißen Sie die Demütigung mit einem kräftigen Applaus herzlich willkommen.
    Ja, ich begann, mich gedemütigt zu fühlen.
    Warum hat das so lange gedauert?, höre ich Sie fragen.
    Tut mir leid, Leute, aber ich hatte in meinem Posteingangskorb einen größeren Rückstand an unaufgearbeitetem Verlust und an Verlassenheit.
    Zuerst ein kleiner Stich der Demütigung. Ein sonderbares Gefühl, als ich mich eines Tages fragte, wie lange Judy schon von der Beziehung zwischen James und Denise gewusst haben mochte. Es blähte sich auf wie ein Ballon, bis ich nahezu nur noch

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