Wassermelone: Roman (German Edition)
unglücklich gefühlt hatte, war ich jetzt wütend, eifersüchtig und darauf bedacht, mich an Denise und James zu rächen. Ich malte mir entsetzliche Katastrophen aus, die sie heimsuchten.
Während der Phase, in der ich ständig auf dem Bett gelegen und kaum Kraft hatte zu sprechen, weil mich der Kummer so überwältigte, hatte ich niemandem etwas zuleide getan. Vermutlich war ich ein wenig langweilig und wohl auch nicht besonders hilfsbereit gewesen, wenn es um Staubsaugen und andere Hausarbeit ging, aber einen darüber hinausgehenden Vorwurf konnte mir niemand machen.
Jetzt aber war ich wie ein tobsüchtiger Berserker. Ich hatte so viel Wut und Hass gegen James in mir aufgestaut. Da er nicht in Reichweite war, brüllte ich statt ihn meine Angehörigen an, unschuldige Zuschauer, die mir eigentlich helfen wollten, und knallte ihnen die Tür ins Gesicht.
Nach meiner Rückkehr aus London hatte mein Leiden Würde gehabt. Ich war mir ein wenig wie eine von der Liebe enttäuschte viktorianische Romanheldin vorgekommen, der keine Wahl blieb, als ihr Gesicht der Wand zuzukehren und, von Riechsalzen umgeben, in Schönheit an ihrem Kummer zu sterben. Wie Michelle Pfeiffer in Gefährliche Liebschaften .
Inzwischen ähnelte ich eher Christopher Walken in Die durch die Hölle gehen und hatte Wahnanfälle. Ich war eine Gefahr für mich selbst und andere und zog mit wahnsinnigem Funkeln in den Augen durchs Haus. Gespräche verstummten, wenn ich ins Zimmer kam. Ängstlich verfolgten meine Eltern jede meiner Bewegungen. Anna und Helen verließen umgehend jeden Raum, den ich betrat.
Dabei trug ich weder einen Tarnanzug, noch hatte ich einen Patronengurt um die Brust geschlungen. Auch schleppte ich keine furchterregend wirkenden automatischen Feuerwaffen mit mir herum, hatte keine Handgranate in der Tasche und mir auch keinen Dreck ins Gesicht geschmiert. (Vielleicht doch, denn in jener schrecklichen Zeit fiel das Baden vollständig aus.) Doch ich fühlte mich so mächtig und wurde von den anderen so angstvoll betrachtet, als träte ich mit all diesem kriegerischen Zubehör auf.
Die Zeit des Großen Terrors begann an dem Tag, an dem ich mir mit meiner Mutter das bewusste Video ansah. (Ich will jetzt nicht in Einzelheiten berichten, was darauf folgte. Dazu schäme ich mich zu sehr. Immerhin erklärte sich der Inhaber des Videoverleihs bereit, keine Anzeige zu erstatten. Es stimmte schon, was er sagte: Er war nur Mittelsmann; die Videos hatten nichts mit seinen persönlichen Überzeugungen oder Moralvorstellungen zu tun. Ich war damals einfach ein bisschen überreizt.)
Der mehrere Tage dauernde Große Terror lief praktisch auf einen Kriegszustand hinaus. Der geringste Anlass konnte einen Wutanfall in mir auslösen, insbesondere Liebesszenen im Fernsehen. In meinem Kopf lief unaufhörlich ein Video, das James und Denise miteinander im Bett zeigte. Sobald ich im Fernsehen ein Liebespaar sah, drehte ich durch.
Glücklicherweise begegnete ich im wirklichen Leben keinen Liebespaaren – für die Folgen hätte ich nicht garantieren können. Meine Eltern jedenfalls benahmen sich nicht wie ein Liebespaar. Das Romantischste, was Dad so über die Wochen zu Mum sagte, war: »Wollen wir Donnerstag abend mal in den Elektro-Großmarkt gehen und uns ein neues Gefriergerät aussuchen?«
Durch unser Haus zog ein unaufhörlicher Strom von Helens Verehrern, deren hündische Hingabe sie ihnen mit grausamem Spott vergalt. Das gefiel mir auf eine grimmige, kalte Weise. Was Anna betrifft … nun, das ist eine andere Geschichte, die ein andermal erzählt werden soll.
In jener Zeit weinte ich unmäßig viel. Außerdem fluchte ich und warf mit Gegenständen um mich.
Wie gesagt regte mich das Fernsehen gewöhnlich auf. Ich brauchte nur zu sehen, wie sich ein Mann über eine Frau beugte und sie küsste, schon zerfraß mich das grüne Feuer der Eifersucht und erfüllte mich mit furchtbarer Energie.
Sogleich dachte ich an James, meinen James, der mit einer anderen zusammen war. Eine Sekunde lang war das nichts als ein abstrakter Gedanke, als wäre er noch bei mir und ich malte mir lediglich die schlimmstmögliche Situation aus. Dann fiel mir ein, dass es geschehen war, dass er sich tatsächlich bei einer anderen befand. Der Schmerz, den dieses Wissen hervorrief, ließ nie nach. Er war beim zehnten Mal ebenso entsetzlich, erschreckend und widerwärtig wie beim ersten Mal.
Bei solchen Gelegenheiten warf ich ein Buch nach dem Fernseher, Schuhe an die Wand
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