Wassermelone: Roman (German Edition)
Woche lang nicht mit ihm.
Anfangs prügelten wir uns richtig um die Geräte. Ständig warteten Schlangen davor. Wie eine Munitionsfabrik im Krieg waren sie vierundzwanzig Stunden täglich in Betrieb.
Ganz offen gesagt, hielten sich nicht immer alle an die Reihenfolge, und es kam zu allerlei undurchsichtigen Manövern. Bei dem Handgemenge, das über der Frage ausbrach, wer als Nächste dran war, wurde mehr als eine Träne vergossen und mehr als ein hartes Wort gesprochen.
Vor allem das Fahrrad hatte es uns angetan. Margaret, Rachel und ich waren von der Größe unseres Hinterteils und unserer Oberschenkel geradezu besessen.
Das Rudergerät blieb eher links liegen, denn in unserer Jugend hatten wir noch gar nicht gemerkt, dass man auch an den Oberarmen Speck ansetzen kann.
Margaret, Rachel und ich hatten den größten Teil unserer Jugendjahre damit zugebracht, dass wir uns mit dem Rücken vor den Ganzkörperspiegel stellten und unseren Kopf so weit drehten, ohne den Körper zu bewegen, dass wir unseren Hintern von hinten begutachten konnten – wobei wir uns fast den Hals gebrochen hätten. Besorgt hatten wir uns gegenseitig gefragt: »Wie sieht mein Hintern aus? Richtig dick oder nur mitteldick?«
Wir vergeudeten viel Zeit damit, dass wir uns kasteiten und uns Sorgen um die Größe unseres Hinterteils machten. Wenn wir Jeans kauften oder anprobierten, wurden sie daraufhin begutachtet, wie gnädig sie es kaschierten. Jedes Hemd, jeder Pullover und jede Jacke wurde einer ähnlichen Probe unterzogen, weil wir wissen wollten, wie weit sie ihn verschwinden ließen.
Die Intensität der Zwangsvorstellung, unser Hintern sei zu groß,ließ sich nur noch mit jener Zwangsvorstellung vergleichen, unser Busen sei zu klein. Es war wirklich traurig, denn in Wirklichkeit waren wir schön. Wir hatten eine wunderbare Figur. Und ahnten nichts davon.
Rachel sagte oft, dass sie gern in früheren Zeiten gelebt hätte. Genau gesagt zur Zeit der großen Hungersnot. Einmal sagte sie sehnsüchtig zu mir: »Stell dir vor, wie dünn wir wären, wenn wir ein paar Monate lang von Steinen und Gras leben müssten.«
Ich hätte viel darum gegeben, wenn ich noch den Körper gehabt hätte, den ich in jenen Jahren hatte.
Dann kam mir der beunruhigende Gedanke: »Großer Gott, werde ich vielleicht eines Tages im Rückblick auf meinen heutigen Körper denken, dass ich froh wäre, ihn zu haben?«
Vielleicht hätte ich anfangen sollen, mich über mein Aussehen zu freuen, obwohl ich mir so schrecklich vorkam, denn eines Tages würde ich mir wünschen, wieder so auszusehen. Andererseits fiel mir die Vorstellung schwer, es könnte mir je so dreckig gehen, dass ich mir das wünschte.
Natürlich war der Reiz des Neuen beim Zimmerfahrrad und Rudergerät sehr rasch verflogen. Dafür sorgte eine Mischung aus Zwischenfällen und enttäuschten Erwartungen.
Obwohl Helen erst neun Jahre alt war, glaubte sie als Einzige zu wissen, wie das Rudergerät funktionierte. Sie rief uns alle zu einer Vorführung zusammen. Um uns zu beeindrucken, stellte sie den Widerstand viel zu hoch ein und versuchte dann, ohne sich vorher aufgewärmt zu haben, dagegen anzurudern. Prompt zerrte sie sich einen Brustmuskel. Das Ergebnis war ein gewaltiges Spektakel. Die armen Geschöpfe, die unter der spanischen Inquisition leiden mussten, haben sich vermutlich nicht annähernd so aufgeführt wie Helen. Sie behauptete, auf einer Seite völlig gelähmt zu sein, und das Einzige, was ihr Leiden ein wenig lindern könne, seien Unmengen Schokolade und ununterbrochene Fürsorge. Helen war schon in jungen Jahren ganz sie selbst.
Sie behauptete, ihr Schmerz sei unerträglich, und bat Dr. Blenheim, sie von ihrem Leiden zu erlösen. Auch uns war ihr Schmerz unerträglich, und wir waren einverstanden, dass er ihr den Wunsch erfüllte.
Er aber verschanzte sich hinter der Ausrede, es gebe eine Art Gesetz dagegen. Ich glaube, er nannte es Mord oder vorsätzliche Tötung oder so was. Mein Vater erklärte ihm, dass wir es als Gnadentod ansehen würden. Was er damit meinte, war: eine Gnade für die übrige Familie. Obwohl er Dr. Blenheim versicherte, er werde niemandem etwas davon sagen, ließ sich dieser nicht erweichen.
Da trotz all unserer Anstrengungen am Ende keine von uns auch nur annähernd wie Jamie Lee Curtis aussah, fühlten wir uns ziemlich enttäuscht und beschlossen, uns an dem Zimmerfahrrad zu rächen, indem wir es nicht mehr zur Kenntnis nahmen.
Nach einer Weile tat nicht einmal
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