Wassermelone: Roman (German Edition)
mehr mein Vater so, als benutze er die Geräte. Er murmelte, er hätte in einem Artikel in Cosmopolitan gelesen, ein Übermaß an Bewegung sei ebenso schädlich wie gar keine.
Ich hatte den Artikel gleichfalls gelesen. Darin ging es um Leute mit einem zwanghaften Fitnesskomplex, kranke Menschen, die in ihrem Verhalten meinem Vater nicht mal entfernt ähnelten. Aber er hatte jetzt eine hieb- und stichfeste Ausrede, Fahrrad und Rudergerät nicht mehr zu benutzen.
Wenn Mum wieder davon anfing, wie teuer die Geräte gewesen seien und dass sie schon dagegen gewesen sei und vorausgesagt habe, wie es ausgehen würde, hielt Dad den Artikel aus Cosmopolitan sozusagen wie einen Schutzschild vor sich.
So fielen die beiden Geräte der Vergessenheit anheim, und der Staub lagerte sich auf ihnen ab. Damit teilten sie das Schicksal der rosa Leggings und der rosa-blauen Stirnbänder, die wir gekauft hatten, weil wir fanden, dass sie gut aussahen.
Tatsächlich hatten Margaret und ich unserem Vater ein Paar rosa Leggings und ein solches Stirnband gekauft. Er hat beides einmal getragen, um uns eine Freude zu machen. Ich glaube, es existiert irgendwo sogar noch ein Foto, auf dem er so ausstaffiert ist.
Als ich in Rachels Zimmer fast über das Fahrrad und das Rudergerät gestolpert wäre, war ich also sehr überrascht. Ich hatte beides seit Jahren nicht gesehen und angenommen, sie wären schon längst zusammen mit dem Hüpfball, den Pogo-Sticks, den Rollschuhen, den Skateboards, dem Trivial Pursuit, dem Softball-Spiel, den Squash-Schlägern, den Klick-Klack-Kugeln, den Mountainbikes, den Tonkassetten ›Spanisch leicht gemacht‹, dem Mini-Bridge und dem Glasfaserkanu nach Sibirien verbannt worden. Also in unsere Garage, wo sich ausrangiertes Gerümpel in äußerster Finsternis den Platz mit dem Kohlenvorrat, dem Rasenmäher, den Schraubenziehern und den Tausenden anderer Spiele und Gegenstände teilte, die bei uns eine kurze, aber heftige Woge der Begeisterung – ganz zu schweigen von zahllosen Auseinandersetzungen im Kreis der Familie – ausgelöst hatten, bis sich die von ihnen ausgehende Verlockung legte und unsere Freude daran nachließ.
Ich freute mich sehr, sie zu sehen, und war, wie gesagt, ein wenig überrascht. Wie bei alten Bekannten, denen man nach Jahren irgendwo völlig unerwartet begegnet.
Hinterher ist man immer klüger: Heute ist mir klar, dass ich damals in Wirklichkeit einen von der Decke hängenden Sandsack gebraucht hätte, so einen, mit dem Boxer trainieren, um mir die sagenhafte Wut auf James und Denise aus dem Leibe zu schlagen.
Doch wenn schon kein Sandsack, und weil auch die Gesetze mir verboten, stattdessen Helens Kopf zu benutzen, war die Entdeckung des Fahrrades und des Rudergeräts ein wahres Geschenk des Himmels.
Irgendwie begriff ich, dass mich Bewegung daran hindern würde, den Kopf vollständig zu verlieren und vor Eifersucht und Groll zu platzen. Entweder Bewegung oder Ströme von Alkohol.
Also stellte ich die Wodkaflasche mitsamt dem Glas auf Rachels Frisierkommode, setzte mich auf das Rad und schob das Nachthemd unter mich. Ja, nach wie vor eins von Mums Nachthemden. Allerdings nicht das, das ich am Abend meiner Ankunft angezogen hatte. So tief war ich noch nicht gesunken. Aber es war ein Nachthemd vom gleichen Zuschnitt.
Selbst wenn ich mir ein bisschen blöd vorkam (aber nicht übermäßig blöd, schließlich hatte ich eine halbe Flasche Wodka intus), begann ich in die Pedale zu treten. Während alle anderen Bewohner des Hauses schliefen, strampelte ich und schwitzte. Danach ruderte ich eine Weile und schwitzte. Dann setzte ich mich wieder auf das Fahrrad, trat erneut in die Pedale und schwitzte noch ein bisschen. Während James irgendwo friedlich in London schlummerte, den Arm schützend über Denise gelegt, trat ich in einem Zimmer, in dem immer noch Don-Johnson-Plakate an der Wand hingen, wie verrückt in die Pedale, wobei mir heiße Tränen der Wut über das gerötete Gesicht liefen.
Ich tat mir ausgesprochen leid, und jedes Mal, wenn ich mir die beiden miteinander im Bett vorstellte, steigerte ich das Tempo, als könnte ich dadurch einen Abstand zwischen mich und den Schmerz legen, den ich empfand.
Wenn ich mir vorstellte, wie sie seinen wunderbaren nackten Körper berührte, stieg eine neue Welle so leidenschaftlicher Energie in mir empor, dass sie mir Übelkeit verursachte, und ich quälte mich noch mehr.
Ich fürchtete, ich würde jemanden umbringen, wenn ich aufhörte, in die
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