Wassermelone: Roman (German Edition)
Pedale zu treten.
Seit Monaten hatte ich keinerlei Bewegung gehabt, mich seit ewigen Zeiten nicht angestrengt (von der Geburt mal abgesehen), aber ich wurde nicht müde und geriet nicht einmal außer Atem. Je mehr ich mich quälte, desto leichter wurde es.
Es kam mir vor, als wären meine Oberschenkelmuskeln aus Stahl (das aber waren sie mit Sicherheit nicht, das können Sie mir glauben).
Die Pedale sausten so schnell herum, dass man sie nicht mehr sah. Meine Beine bewegten sich so leicht, als wären sie geölt. Es war, als hätte man mir die Gelenke geschmiert.
Immer rascher trat ich, bis sich endlich der harte Knoten in meiner Brust löste und mich ein Gefühl der Gelassenheit überkam. Ich konnte fast normal atmen.
Als ich schließlich abstieg, waren die Lenkergriffe getränkt von meinem Schweiß, und das Nachthemd klebte mir am Leibe. Ich aber empfand fast so etwas wie Hochgefühl. Ich ging wieder in mein Zimmer und legte mich hin.
Kate warf einen Blick auf mein hochrotes Gesicht und das Nachthemd, das mir am Leibe klebte, schien aber an meiner Situation keinen besonderen Anteil zu nehmen. Ich legte das brennend heiße Gesicht auf das kühle Kissen und wusste, dass ich jetzt würde schlafen können.
Am nächsten Morgen wurde ich sehr früh wach, noch vor Kate. Tatsächlich weckte ich sie mit meinem Weinen – in einer hübschen Umkehrung der Rollen.
Jetzt siehst du mal, wie das ist, dachte ich, während ich schluchzte. Fängt man so einen Tag an?
Die Gespenster Eifersucht und Wut kehrten zurück. Sie hatten während des Schlafs neben mir gestanden und auf mich heruntergeschaut. »Wollen wir sie wecken?«, hatten sie einander gefragt.
»Von mir aus«, hatte die Eifersucht gesagt. »Willst du?«
»Aber nein, warum nicht du?«, hatte ihr die Wut höflich den Vortritt gelassen.
»Mit größtem Vergnügen«, hatte die Eifersucht freundlich erwidert. Dann hatte sie mich grob an der Schulter gepackt und wachgerüttelt.
Das Erste, was ich vor meinem inneren Auge sah, war das entsetzliche Bild, wie James mit Denise im Bett lag. Die erbitterte Wut war wieder da und floss wie Gift durch meine Adern. Also leerte ich die Wodkaflasche, während ich Kate fütterte, und kehrte dann in Rachels Zimmer zurück, um weiter auf dem Zimmerfahrrad zu strampeln.
Wenn es Gerechtigkeit auf der Welt gäbe, hätte ich nach meinen Anstrengungen der vorigen Nacht steif wie ein Brett sein müssen. Aber das hatte ich im Verlauf des vergangenen Monats gelernt: Gerechtigkeit gibt es auf der Welt nicht. Also war ich auch nicht steif wie ein Brett.
In der darauffolgenden Woche verzehrten mich Wut und Eifersucht. Ich hasste James und Denise. Ich terrorisierte Eltern und Geschwister, ohne es zu merken. Immer, wenn es mir zu viel wurde, setzte ich mich auf das Rad und versuchte, mir einen Teil meiner erstickenden Wut aus dem Leibe zu strampeln. Außerdem trank ich viel zu viel.
Ich schuldete Anna ein Vermögen. Helen verlangte exorbitante Beträge dafür, dass sie den Alkohol heranschaffte. Das Gesetz von Angebot und Nachfrage ließ mir keine Wahl – ich musste zahlen. Ich war eine Käuferin auf einem Verkäufermarkt. Helen hatte mich sozusagen an der Gurgel: Ich stand vor der Wahl zu zahlen oder mir den Schnaps selbst zu holen.
Da ich noch nicht fähig war, mich dem Leben außerhalb des Hauses zu stellen, zahlte ich. Genauer gesagt zahlte Anna, denn ich hatte kein eigenes Geld.
Ich wollte es ihr durchaus zurückgeben, aber erst, wenn ich selbst wieder Geld hatte. Wie sich meine Bedürfnisse auf Annas Finanzlage auswirkten, darüber zerbrach ich mir nicht den Kopf. Das hätte ich aber tun sollen, denn immerhin musste sie von ihrem Arbeitslosengeld, ihrer einzigen Einkommensquelle, eine mittlere bis schwere Trinkerin unterhalten.
Doch ich dachte nur an mich. Meist war ich halb betrunken. Meine Absicht war es, die Qual und die Wut zu betäuben, indem ich mich betrank. Es nützte aber nicht wirklich etwas. Ich fühlte mich einfach verloren und benommen. Wenn ich dann wieder nüchtern war, fühlte ich mich in den wenigen Minuten, die es dauerte, bis ich erneut trank und die Wirkung spürte, grauenvoll deprimiert. Es war wirklich schlimm.
Ich hätte nie geglaubt, dass ich so etwas sage, aber Trinken ist keine Lösung. Dann schon eher Drogen. Aber Trinken nicht.
Erst als ich zufällig mitbekam, wie sich Mum, Helen und Anna über mich unterhielten, merkte ich, wie widerwärtig ich mich aufführte.
Ich wollte gerade in die Küche gehen,
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