Wassermelone: Roman (German Edition)
als ich mit dem Ärmel meines (besser gesagt, Dads ) Pullis am Türknauf des Dielenschranks hängen blieb.
Während ich mich befreite, hörte ich Helen in der Küche reden: »Sie ist ein richtiges Rabenaas«, klagte sie. »Keiner traut sich, im Fernsehen ’ne Sendung anzusehen, in der sich Leute küssen oder was, weil sie durchdrehen könnte.«
Über wen die wohl reden, fragte ich mich, bereit, mich an der Demontage des betreffenden Unglückseligen zu beteiligen, ganz gleich, wer es auch sein mochte. So gemein und verbittert war ich.
»Ja«, stimmte Anna zu. »Als wir gestern beim Fernsehen saßen, hat sie die Vase an die Tür geworfen, die ich dir zu Weihnachten gemacht hab, bloß weil Sheila zu Scott gesagt hat, dass sie ihn liebt.«
»Tatsächlich?«, fragte meine Mutter. Es klang entrüstet.
Ich merkte mit Schrecken, dass sie über mich sprachen, denn ich hatte jenes grässliche Ding an die Tür geworfen. Wie konnten sie es wagen! Ohne einen Laut von mir zu geben, blieb ich an der Tür stehen und lauschte weiter, ganz das Scheusal, das ich geworden war.
»Ich kann es einfach nicht glauben«, fuhr meine Mutter fort, ihrer Stimme nach zu urteilen bis ins tiefste Mark erschüttert. »Und was hat Scott dazu gesagt?«
»Ach, Mum, kannst du nicht mal fünf Minuten lang das alberne Programm vergessen?«, fragte Helen. Es klang, als ob sie im nächsten Augenblick in Tränen ausbrechen würde. »Es ist ziemlich schlimm. Claire führt sich auf wie ein Ungeheuer.«
Schon möglich, meine Liebe, dachte ich bissig, aber alles, was ich auf dem Gebiet gelernt hab, verdanke ich dir .
»Es ist fast, als wäre sie besessen!«, fuhr Helen fort.
»Haltet ihr das für möglich?«, fragte Anna ganz aufgeregt, offensichtlich im Begriff, den Namen eines guten Exorzisten aus ihrem Notizbuch herauszusuchen. (»Er soll großartig sein. Alle meine Bekannten gehen zu ihm.«)
»Versteht doch«, sagte meine Mutter beschwichtigend. »Sie hat ziemlich viel durchgemacht.«
Kann man wohl sagen, stimmte ich stumm zu, während ich stocksteif an der Tür stand.
»Habt also ein bisschen Verständnis für sie. Versucht ein wenig Geduld aufzubringen. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie schrecklich sie sich fühlen muss.«
Nein, das könnt ihr wohl wirklich nicht, pflichtete ich ihr stumm bei.
Schweigen trat ein.
Gut, dachte ich. Sie hat sie beschämt.
»Gestern abend hat sie deinen teuren Aschenbecher kaputtgemacht«, murmelte Helen.
»Was hat sie getan?!«, fragte meine Mutter scharf.
»Es stimmt«, bestätigte Anna.
Alte Verräterin!, dachte ich.
»Das reicht«, sagte meine Mutter entschlossen. »Jetzt ist es genug.«
»Ha!«, sagte Helen mit Triumph in der Stimme, offensichtlich zu Anna. »Ich hab dir gleich gesagt, dass Mum die beschissene Vase nicht ausstehen kann, die du ihr gemacht hast. Sie hat immer nur so getan, als ob sie ihr gefiele. Sonst hätte sie doch reagiert, als Claire sie an die Tür gefeuert hat? Bei ihrem Aschenbecher hat sie sich aufgeregt!«
Es wird Zeit, dass ich verschwinde, dachte ich. Lautlos und zutiefst erschüttert ging ich wieder nach oben. Eine sonderbare Empfindung hatte sich in mir geregt.
Ich habe später in meinem Nachschlagewerk der Gefühle nachgesehen und gefunden, was es war. Kein Zweifel. Es war Scham.
Im Verlauf des Abends kam Dad zu mir, während ich auf dem Bett lag. Ich hatte damit gerechnet.
So war das früher immer gewesen, wenn ich mich als junges Mädchen danebenbenommen hatte. Mum hatte meinen Fehltritt entdeckt, meine Missetat, mein Vergehen oder was auch immer sonst. Daraufhin setzte sie die Kanonenboote in Marsch, indem sie es Dad weitersagte.
Leise klopfte er an und steckte verlegen den Kopf zur Tür herein.
Es war lange her, dass er es zum letzten Mal hatte tun müssen. Zweifellos stand Mum mit einem elektrischen Viehtreiber hinter ihm auf dem Treppenabsatz und zischte ihm zu: »Geh rein und sag’s ihr. Auf dich hört sie, auf mich nicht.«
»Hallo, Claire, kann ich reinkommen?«, fragte er.
»Setz dich, Dad«, sagte ich, wies aufs Bett und ließ eilig die halb geleerte Flasche mit extrastarkem Apfelwein im Nachttisch verschwinden.
»Hallo, Lieblingsenkelin«, sagte er zu Kate. Ich verstand nicht, was sie antwortete.
»Soso«, sagte er und bemühte sich, einen munteren Klang in seine Stimme zu legen.
»Soso«, echote ich trocken. Ich dachte nicht im Traum daran, ihm seine Aufgabe leichtzumachen. In mir herrschte ein schreckliches Durcheinander von Gefühlen. Es
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