Wassermelone: Roman (German Edition)
redet man nicht«, sagte meine Mutter und fügte kenntnisreich hinzu, »außerdem ist das der Palmerstown-Käse. Du weißt schon, für die Basilikasauce.«
10
D as Abendessen verlief etwas sonderbar, weil wir alle aus dem Staunen über Adam nicht herauskamen.
Schon immer hatte Helen ganze Scharen von Männern (besser gesagt halbwüchsigen Jungen) angeschleppt, die in sie verknallt waren. Kein Tag verging, ohne dass das Telefon klingelte und sich irgendein stammelnder Jüngling am anderen Ende der Leitung nach seinen Aussichten erkundigte, Helen ausführen zu dürfen.
Ein unaufhörlicher Strom männlicher Besucher, die Helen zum Tee eingeladen hatte, ergoss sich in unser Haus. Das hing gewöhnlich damit zusammen, dass ihre Stereoanlage nicht funktionierte, sie ihr Zimmer tapeziert haben wollte oder, wie in diesem Fall, jemanden brauchte, der ihr ein Referat schrieb, eben Dinge, die sie auf keinen Fall selbst machen wollte.
Nur selten bekam der hilfreiche Kandidat nach getaner Arbeit den versprochenen Tee.
Wie Adam aber war bisher keiner gewesen. Gewöhnlich waren sie eher wie Jim gewesen, mit vollem Namen Der Arme Jim.
Er war schlaksig, dürr und ging immer und überall schwarz gekleidet. Mitten im Hochsommer trug er einen langen schwarzen Mantel, der ihm Stunden zu weit war, und hohe schwarze Stiefel. Er färbte sein volles Haar schwarz und sah mir nie in die Augen. Er redete nicht viel, wenn er aber doch etwas sagte, sprach er gewöhnlich über Möglichkeiten, sich umzubringen. Oder über die Sänger unbekannter Gruppen, die sich umgebracht hatten.
Einmal sagte er mir guten Tag und schenkte mir eine Art freundliches Lächeln, und ich dachte schon, ich hätte ihn falsch eingeschätzt – bis ich merkte, dass er stockbetrunken war.
Wo er ging und stand, trug er im zerfetzten Futter seines schwarzen Mantels ein zerfleddertes Exemplar von Angst und Abscheu in Las Vegas oder Die Amerikanische Psychose mit sich herum. Er wollte in einer Gruppe mitspielen und sich umbringen, wenn er achtzehn war.
Allerdings glaube ich, dass er den Selbstmordtermin hinausgeschoben hat, denn er ist im vorigen Jahr zu Weihnachten achtzehn geworden, und ich habe nicht gehört, dass er tot wäre. Das wüsste ich bestimmt. Helen konnte ihn nicht ausstehen.
Immer wieder rief er an, und jedes Mal ging unsere Mutter ans Telefon und log das Blaue vom Himmel herunter, wo Helen war. Beispielsweise sagte sie: »Nein, wir haben keine Ahnung, wo sie ist, vermutlich hängt sie irgendwo betrunken rum«, während Helen in der Diele stand, Mum ansah, heftig mit den Armen wedelte und ihr zuflüsterte: »Sag ihm, dass ich tot bin.«
Nachdem Mum aufgelegt hatte, brüllte sie Helen an: »Ich denk nicht dran, für dich weiterzulügen. Ich bringe damit meine unsterbliche Seele in Gefahr. Warum redest du nicht selbst mit ihm? Er ist ein netter Junge.«
»Eine Arschgeige ist er«, gab Helen zur Antwort.
»Er ist ein bisschen schüchtern«, nahm ihn Mum in Schutz.
»Ach was, eine Arschgeige«, beharrte Helen, diesmal lauter.
Am Valentinstag oder zu Helens Geburtstag kam von ihm auf jeden Fall ein Strauß schwarzer Rosen. Die Post brachte handgemachte Grußkarten mit sehr anschaulichen Bildern. Entweder lief Blut aus zerbrochenen Herzen, oder auf der Karte war eine einzige rote Träne. Schrecklich symbolisch.
Manchmal konnte man nicht in unsere Küche gehen, ohne dass Jim in seinem unvermeidlichen langen schwarzen Mantel dasaß und mit Mum redete. Sie war seine beste Freundin geworden, seine einzige Verbündete bei seinem Bemühen, Helens Herz zu gewinnen.
Die meisten der Jünglinge, die gern Helens Freund gewesen wären, verbrachten weit mehr Zeit mit meiner Mutter als mit ihrer Angebeteten.
Mein Vater hasste sie alle. Womöglich war sein Hass noch stärker als Helens.
Ich glaube, Jim hatte ihn enttäuscht.
So sehr sehnte sich mein Vater nach männlicher Gesellschaft, dass er gehofft hatte, sich ein bisschen an Jim anschließen zu können, wo dieser ohnehin schon eine Art mehr oder weniger ständiger Einrichtungsgegenstand in unserer Küche war, ungefähr so wie die Waschmaschine oder der Brotkasten.
Eines Abends kam Dad von der Arbeit nach Hause und fand ihn wie gewohnt bei Mum in der Küche sitzen. Als Helen hörte, dass Jim im Hause war, ging sie sofort auf ihr Zimmer. Mein Vater setzte sich an den Küchentisch und versuchte mit ihm ins Gespräch zu kommen.
Er sagte: »Mann, haben die gespielt! Hast du das Spiel auch gesehen?«
Jim sah Dad
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