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Wassermelone: Roman (German Edition)

Wassermelone: Roman (German Edition)

Titel: Wassermelone: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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völlig entgeistert an. Seiner Vorstellung nach konnte man, was gespielt wurde, auf keinen Fall sehen, sondern höchstens hören. Damit war die Sache beendet. Jetzt hielt auch mein Vater Jim für einen hoffnungslosen Fall. Er sagte, Jim sollte gefälligst mit seinem ständigen Gerede von Selbstmord aufhören und es endlich tun.
    Meine Mutter behauptete, Jim sei ein richtig netter Kerl, wenn man ihn erst einmal näher kennen würde, und es sei eine Sünde, einen Menschen in seinem Vorsatz zu bestärken, sich das Leben zu nehmen.
    Mir kam es so vor, als wäre Jim immer da. Ganz gleich, wann ich von London zu Besuch kam, immer schien er an unserem Küchentisch zu sitzen. Über seinem Kopf schwebte eine kleine schwarze Wolke. Er trug seine Tragödie mit sich herum wie eine Aktentasche.
    Trotzdem sagte ich jedes Mal: »Hallo, Jim.« Zumindest war ich höflich. Sogar wenn er mich überhaupt nicht zur Kenntnis nahm.
    Dann kam ich dahinter, warum er mich nie zur Kenntnis genommen hatte.
    Am zweiten Tag nach meiner Rückkehr aus London klingelte es an der Tür. Ich ging hin und sah einen Haarschopf mit einem langen schwarzen Mantel.
    Ich war nicht sicher, ob er gekommen war, um Helen oder Mum zu besuchen, aber weil meine Mutter nicht zu Hause war, rief ich meine Schwester.
    »He, Helen, Jim ist an der Tür.«
    Völlig verwirrt kam sie die Treppe herab.
    »Oh, hallo, Conor«, sagte sie zu dem düsteren Jüngling auf der Schwelle.
    Sie wandte sich mir zu. »Wo ist Jim?«, fragte sie.
    »Na ja … da … oder etwa nicht?«, antwortete ich ein wenig unsicher und wies auf den jungen Mann in dem langen schwarzen Mantel.
    »Das ist Conor. Jim hab ich schon fast ein Jahr lang nicht gesehen. Komm doch rein, Conor«, sagte sie missmutig. »Ach ja, das ist übrigens meine Schwester Claire. Sie ist aus London zurückgekommen, weil ihr Mann sie sitzenlassen hat.«
    »Volltreffer, Claire«, zischte sie mir wütend zu, als sie Conor ins Wohnzimmer schob. »Ich geh ihm schon seit einem Monat aus dem Weg.«
    Zweifellos wird sie in der Hölle schmoren.
    Zumindest ist jetzt klar, warum mich Jim nie zur Kenntnis nahm, wenn ich »Hallo, Jim« sagte. Er war es gar nicht. Aber er sah genauso aus.
    Von da an sagte ich jedes Mal »Hallo, Conor«, wenn ich Jim sah. Offensichtlich irrte ich mich immer noch. Er hieß William. Aber er sah Jim und Conor zum Verwechseln ähnlich.

    Mit Adam allerdings lag der Fall ganz anders als bei Jim und seinen Klonen. Er sah gut aus, war (in Maßen) intelligent und vorzeigbar … also normal! Er hatte gewisse Umgangsformen, sah nicht aus, als würde er zu Staub zerfallen, wenn ihn ein Sonnenstrahl traf, und er konnte mehr, als nur mit starrem Blick Helen anschmachten.
    Nachdem er uns allen die Hand geschüttelt hatte, fragte er meine Mutter höflich: »Kann ich Ihnen beim Tischdecken helfen?« Was sie wirklich erschütterte. Nicht nur die angebotene Hilfe, die an und für sich schon überaus bemerkenswert war, sondern die bloße Vorstellung, dass man den Tisch decken sollte.
    In unserem Haus ist sich nämlich bei den Mahlzeiten jeder selbst der Nächste und setzt sich mit seinem Teller nicht an den Küchentisch, sondern vor den Fernseher, um sich eine der Serien anzusehen.
    Daher sagte sie: »Äh, danke, nicht nötig, Adam. Ich erledige das schon.« Und genau das tat sie mit leicht verwundertem Gesicht.
    »Heute Abend bekommen Sie etwas ganz Besonderes«, sagte sie wie ein junges Mädchen zu Adam. Es war richtig peinlich – eine erwachsene Frau, die sich aufführte wie eine Halbwüchsige. »Claire hat für uns gekocht.«
    »Ja, ich hab schon Wunderdinge von ihrer Kochkunst gehört«, sagte er mit einem Lächeln, das mich in eine durchaus angenehme Verwirrung stürzte. Er sollte nicht so lächeln, während ich die Spaghetti durchseihe , dachte ich und kümmerte mich um meine verbrühte Hand.
    Wer mochte ihm gesagt haben, dass ich gut kochen kann? – Helen bestimmt nicht. Vielleicht war es nur ein Kompliment. Was wäre daran verwerflich?
    »Und nun, meine Damen und Herren, nehmen Sie bitte Ihre Plätze für die Vorstellung des heutigen Abends ein« – mein lautes Signal, dass das Essen fertig war.
    Adam lachte. Ich freute mich darüber wie ein Kind.
    Unter allgemeinem Füßescharren und Stühlerücken nahmen alle Platz.
    Wie Adam so am Tisch saß, fiel er einem richtig ins Auge. Der Stuhl war viel zu klein für ihn, und er sah mit seinen maskulinen Kinnbacken in geradezu absurder Weise gut aus. Es war ungefähr so,

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