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Wassermelone: Roman (German Edition)

Wassermelone: Roman (German Edition)

Titel: Wassermelone: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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die bürgerliche Wertetabelle völlig durcheinanderbrächte, wenn er mich wegen Trunkenheit und Störung der öffentlichen Ordnung festnähme.
    Als man mich in der grünen Minna fortbrachte, durch deren Fenster ich Laura und Judy sehen konnte, bildete ich mit dem Mund lautlos die Worte: »Ruft James an«, während mir die Tränen über die Wangen liefen. Mir war klar, dass er wissen würde, was zu tun war. Und genauso war es. Er holte mich gegen Kaution heraus und besorgte mir einen Anwalt.
    Ich glaube nicht, dass ich je im Leben solche Angst hatte wie damals. Ich war überzeugt, dass man ein Geständnis aus mir herausprügeln, mir mehrfach »lebenslänglich« aufbrummen und ich James oder meine Freunde und Angehörigen nie wiedersehen würde – und den blauen Himmel höchstens vom Gefängnishof aus. Ich tat mir unendlich leid. Nie wieder würde ich mich hübsch anziehen können, sondern würde die grauenhaften sackartigen Gefängnissachen tragen müssen.
    Und ich müsste Lesbierin werden. Ich würde mich mit der übelsten Krawalltüte anfreunden müssen, damit sie mich vor allen anderen Frauen und ihren Colaflaschen beschützte.
    Dass ich einen akademischen Grad hatte, würde mir nichts nützen, und ich würde wieder anfangen zu rauchen. Obendrein war die Sträflingsrolle nichts für mich, weil ich den australischen Akzent nicht gut nachahmen konnte.
    Ich war wie vernichtet.
    Als daher James auf die Polizeiwache kam und mich befreite oder, wie er sagte, »rauspaukte«, konnte ich nicht fassen, dass vor der Tür keine Fernsehkameras und keine freudetrunkenen Menschenmassen mit Transparenten warteten.
    Stattdessen kam mit kreischenden Bremsen ein weiterer Polizeiwagen zum Stehen. Etwa fünf Betrunkene torkelten heraus.
    James brachte mich nach Hause. Er ließ sich von einem Bekannten einen Anwalt nennen und rief ihn an. Am nächsten Morgen weckte er mich, als ich wegen der schrecklichen Vorahnungen die Augen nicht aufbekam.
    Er wischte mir den Lippenstift ab und erklärte mir, meine Aussichten stünden besser, wenn ich nicht wie ein billiges Flittchen aussähe.
    Aus demselben Grund verlangte er, dass ich einen langen Rock und eine hochgeschlossene Bluse trug.
    Im Gerichtssaal saß er neben mir und hielt meine Hand, während ich mit bleichem Gesicht darauf wartete, dass die Reihe an mich kam. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich jeden Augenblick übergeben musste. Das hing wohl mit dem Schreck und meinem Kater zusammen. Leise summte er mir Lieder ins Ohr, was mich sehr beruhigte – bis ich ein paar der Worte verstand.
    In diesen Liedern ging es um Steineklopfen und Kettensträflinge. Ich sah ihn mit Tränen in den Augen an und wollte ihm sagen, dass er sich nach Hause verziehen sollte, wenn er meine miese Lage so lustig fand.
    Dann aber sah ich seine Augen. Ich konnte nicht anders, ich musste lachen. Er hatte recht. Die ganze Situation war so absurd, dass es falsch gewesen wäre, nicht zu lachen.
    Wir beide kicherten wie Schulkinder.
    Der Richter warf uns einen bösen Blick zu.
    »Das kostet dich noch mal zehn Jahre«, stieß James hervor, und wieder krümmten wir uns vor Lachen. Ich kam mit einer Geldstrafe von fünfzig Pfund davon, die er lachend bezahlte.
    »Beim nächsten Mal zahlst du selbst«, sagte er mit breitem Grinsen. Ich fand seine Haltung unglaublich. Wenn mich jemand um zwei Uhr nachts geweckt hätte, um mir mitzuteilen, dass man James festgenommen hatte, ich wäre entsetzt gewesen. Bestimmt hätte ich die Situation nicht lustig gefunden.
    Ich hätte mich ganz ernsthaft gefragt, was für eine Art Mann ich geheiratet hatte.
    Ich wäre weder so nachsichtig gewesen, noch hätte ich ihn rückhaltlos unterstützt und ihm verziehen, wie mir James verziehen hatte.
    Eigentlich hatte er mir gar nicht verziehen, denn er hatte mir keine Sekunde das Gefühl gegeben, als hätte ich etwas Unrechtes getan.

    Würde ich jetzt noch einmal festgenommen, gäbe es niemanden, der im Gerichtssaal meine Hand hielte und mich zum Lachen brächte. Ganz davon abgesehen, dass ich für die verdammte Geldstrafe selbst würde aufkommen müssen.
    Manchmal war er wirklich süß. Wenn ich mitten in der Nacht wach wurde und mir Sorgen machte, war er großartig.
    »Was fehlt dir, mein Schatz?«, fragte er dann.
    »Nichts«, gab ich zur Antwort, unfähig, die grauenvolle, namenlose Angst in Worte zu fassen, die mich erfüllte.
    »Kannst du nicht schlafen?«
    »Nein.«
    »Soll ich dich ein bisschen langweilen, damit du einschläfst?«
    »Ja

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