Wassermelone: Roman (German Edition)
bitte.«
Nachdem er mir mit seiner beruhigenden Stimme Steuererleichterungen für wohltätige Organisationen oder die neuen Mehrwertsteuer-Vorschriften der Europäischen Union erklärt hatte, fiel ich nach einer Weile in friedlichen Schlaf.
Ich drehte den Hahn der Dusche zu und rieb mich mit dem Handtuch trocken.
Ich müsste ihn anrufen, sagte ich mir.
Ich ging wieder in mein Zimmer und zog mich an.
»Ruf ihn an«, befahl ich mir streng.
»Erst muss ich Kate füttern«, gab ich ausweichend zur Antwort.
»Ruf ihn an!«, forderte ich mich erneut auf.
»Soll die Kleine verhungern? «, fragte ich und versuchte meiner Stimme einen empörten Klang zu geben. »Ich ruf ihn an, sobald sie getrunken hat.«
»Nein. Du rufst ihn jetzt GLEICH an!«
Wieder spielte ich das alte Spiel, schob alles vor mir her, wich der Verantwortung aus, lief vor unangenehmen Situationen davon.
Aber ich hatte auch Angst.
Ich machte mir keine Sekunde lang etwas vor, denn mir war völlig klar, dass ich mit James über Geld, die Wohnung und alles andere würde reden müssen. Aber mir war auch klar, dass diese Dinge in dem Augenblick Wirklichkeit würden, in dem ich mit ihm darüber sprach. Sobald sie wirklich waren, bedeutete das, dass meine Ehe am Ende war.
Das wollte ich nicht.
O Gott, seufzte ich. Ich sah auf Kate, die weich, mollig und wohlriechend in ihrem kleinen rosa Strampelanzug in ihrem Bettchen lag. Und ich begriff, dass ich James anrufen musste.
Was mich selbst betraf, mochte ich so ängstlich, feige und kleinmütig sein, wie ich wollte, aber ich war es diesem meinem schönen Kind schuldig, mich um seine Zukunft zu kümmern.
»Schön«, sagte ich resigniert und sah sie an. »Du hast mich überredet. Ich ruf an.«
Ich ging in Mums Zimmer, um von dort zu telefonieren.
Als ich die Nummer von James’ Büro in London zu wählen begann, wurde mir mit einem Mal schwindlig. Ich war zugleich erregt und hatte Angst. In wenigen Augenblicken würde ich seine Stimme hören. Ich konnte es nicht erwarten.
Ich zitterte vor Vorfreude; mich überlief es heiß. Ich würde mit ihm sprechen, meinem James, meinem besten Freund. Nur dass er das nicht mehr war. Manchmal vergaß ich das. Aber nur einen Augenblick.
Es fiel mir sehr schwer zu atmen. Als fände die Luft den Weg in die Lunge nicht.
Am anderen Ende begann es zu klingeln. Ein Schauer überlief mich, und ich meinte mich übergeben zu müssen.
Die Telefonistin nahm ab.
»Äh, könnte ich bitte mit Mr. James Webster sprechen«, sagte ich mit unsicherer Stimme. Meine Lippen fühlten sich taub an, als hätte man mir eine Spritze gegeben.
Es knackte ein paarmal in der Leitung. Im nächsten Augenblick würde ich mit ihm sprechen.
Ich hielt den Atem an. Dabei kann man nicht sagen, dass ich bis dahin gut Luft bekommen hätte. Ein weiteres Knacken.
Dann war wieder die Telefonistin in der Leitung. »Es tut mir leid, Mr. Webster ist diese Woche nicht im Hause. Darf ich Sie mit einem der Mitarbeiter verbinden?«
Die Enttäuschung tat so weh, dass ich kaum stotternd herausbrachte: »Nein, schon in Ordnung, vielen Dank.« Ich legte auf.
Ich blieb auf Mums Bett sitzen. Ich wusste nicht, was tun.
Ihn anzurufen hatte mich eine solche Überwindung gekostet. Es war so schwer, und dann war ich auch noch wider Willen aufgeregt, weil ich bald mit ihm sprechen würde. Und er war nicht einmal da. Eine einzige Enttäuschung.
Literweise schoss mir das Adrenalin durch den Körper. Meine Stirn war mit Schweiß bedeckt, die Hände waren nass und zitterten. Ich war wie benommen und wusste einfach nicht, was ich tun sollte.
Dann der Gedanke: Wo ist James?
Bitte sagen Sie mir bloß nicht, dass er Urlaub macht. Urlaub?
Wie konnte er, wenn seine Ehe in die Brüche ging, besser gesagt bereits in die Brüche gegangen war?
Vielleicht ist er bei einem Seminar, dachte ich verzweifelt.
Ich überlegte schon, ob ich noch einmal anrufen und fragen sollte, wo James war.
Aber ich ließ es bleiben. Ich wollte nicht das winzige bisschen Stolz aufgeben, das mir geblieben war.
Vielleicht ist er krank. Vielleicht ist er erkältet.
Vermutlich wäre mir die Mitteilung, dass er Krebs im Endstadium hatte, gerade recht gewesen. Mochte er haben, was er wollte, wenn er nur nicht Urlaub machte.
Die Vorstellung, dass er ein Leben ohne mich führte, die Vorstellung, dass er sein Leben genoss, bereitete mir Magenkrämpfe.
Andererseits war mir durchaus bewusst, dass er ein Leben ohne mich führte. Schließlich wies alles
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