Wassermelone: Roman (German Edition)
dass das ein Kleid und keine Bluse ist«, sagte ich kühl.
Sie mochte sagen oder tun, was sie wollte, nichts würde mich davon abhalten, mich rundum wohlzufühlen.
»An Helen mag das durchaus ein Kleid sein«, meinte sie. »Aber dir ist es viel zu kurz, um mehr als eine Bluse zu sein.«
Ich achtete nicht auf sie.
»Hast du deine Schwester eigentlich gefragt, ob du es haben kannst?«, fuhr sie fort, offensichtlich wild entschlossen, mir die gute Laune zu vermiesen. »An mir lässt Helen ihren Zorn aus, wenn sie dahinterkommt. Dir kann es ja egal sein. Du drückst dich mit deinen Rabaukenfreunden in der Stadt rum, lässt dir Malibu mit Limonade schmecken, oder was ihr da trinkt. Und mich schreit meine jüngste Tochter an wie einen Straßenköter. Im Augenblick sind wir, du und ich, bei Helen ohnehin nicht besonders gut angeschrieben.«
»Hör doch auf, Mum«, sagte ich. »Ich leg ihr ’nen Zettel hin, auf dem ich ihr erkläre, dass ich mir das Kleid geliehen habe. Wenn meine Sachen aus London kommen, kann sie sich davon auch was leihen.« Meine Mutter schwieg.
»Ist das in Ordnung?«, fragte ich.
»Ja«. Sie lächelte.
»Und du siehst wirklich großartig aus«, fügte sie widerwillig hinzu.
Kurz bevor ich mein Zimmer verließ, um nach unten zu gehen, sah ich auf der Frisierkommode etwas blitzen: meinen Ehering. Ich hatte vergessen, ihn nach dem Duschen wieder an den Finger zu stecken. Er lag da und zwinkerte mir zu, offensichtlich darauf erpicht, für eine Weile aus dem Haus zu gehen.
Ich ging hinüber und hob ihn auf, steckte ihn aber nicht an den Finger. Meine Ehe ist vorüber, dachte ich, und vielleicht fange ich an, es zu glauben, wenn ich meinen Ehering nicht mehr trage . Ich legte ihn auf die Frisierkommode zurück.
Natürlich war er wütend – er konnte einfach nicht glauben, dass ich ihn nicht tragen wollte. Er ließ mich seinen Ärger deutlich spüren, aber ich gab nicht nach. Sentimentalitäten konnte ich mir nicht leisten, und so beschloss ich zu gehen, bevor es Vorwürfe hagelte. »Tut mir leid«, sagte ich kurz angebunden, kehrte ihm den Rücken zu, machte das Licht aus und ging.
Als ich ins Wohnzimmer kam, weil ich mir von meinem Vater die Autoschlüssel leihen wollte, saß er vor dem Fernseher und sah sich eine Partie Golf an.
Als es mir schließlich gelungen war, seine Aufmerksamkeit von den Männern in den Knickerbockerhosen abzulenken, habe ich ihm wohl einen ziemlichen Schreck eingejagt.
»Du siehst ja schick aus«, sagte er verblüfft. »Wohin soll es gehen?«
»In die Stadt. Ich treffe Laura«, erwiderte ich.
»Pass bloß auf, dass niemand das Auto demoliert«, sagte er besorgt. Er stammte aus einer Kleinstadt im Westen des Landes, und obwohl er seit dreiunddreißig Jahren in Dublin lebte, traute er den Bewohnern der Stadt nach wie vor nicht über den Weg. Er hielt sie alle miteinander für Kleinkriminelle und Schläger. Außerdem schien er der Ansicht zu sein, es gehe in der Stadtmitte von Dublin ebenso zu wie in Beirut, außer dass Beirut viel schöner war.
»Ich pass auf, Dad«, sagte ich. »Ich stell’s auf ’nen bewachten Parkplatz.« Aber nicht einmal das beruhigte ihn.
»Dann sieh aber zu, dass du es vor Mitternacht abholst«, sagte er ganz aufgeregt. »Die bewachten Parkplätze schließen dann nämlich. Wenn du es nicht zurückbringst, muss ich morgen früh zu Fuß zur Arbeit gehen.«
Ich verkniff mir im letzten Augenblick den Hinweis, dass er nirgendwo zu Fuß hingehen müsste, falls ich den Wagen nicht auslösen konnte. Nichts auf der Welt konnte ihn daran hindern, sich Mums Wagen auszuleihen oder mit dem Bus zu fahren.
»Keine Sorge, Dad«, versicherte ich ihm. »Gib mir schon die Schlüssel.« Zögernd rückte er sie heraus.
»Und verstell mir das Radio nicht. Ich will morgen früh nicht von Popmusik taub werden und mir meinen Sender wieder suchen müssen.«
»Wenn ich es verstell, dreh ich es wieder zurück«, seufzte ich.
»Und wenn du den Sitz vorschiebst, dann achte darauf, dass du ihn hinterher wieder nach hinten schiebst. Ich will morgen früh nicht in Panik geraten, dass ich über Nacht einen Wahnsinnsbauch gekriegt hab.«
»Keine Sorge, Dad«, wiederholte ich geduldig, während ich nach Mantel und Handtasche griff. »Bis später.« – Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass mein Vater sein Auto verleiht.
Während ich die Wohnzimmertür hinter mir schloss, hörte ich, wie er mir nachrief: »Wohin willst du eigentlich ohne Rock?« Aber ich
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