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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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nach Fowlshiels – vorübergehend. Mungo hing völlig in der Luft. Er bekam so viele Angebote, daß er seine halbe Zeit und Energie allein dafür benötigte, sie abzulehnen. Die Regierung hätte ihn gern auf Entdeckungsreise nach Australien geschickt, Banks wollte lieber eine zweite Tour nach Westafrika abwarten; andere baten ihn, Vorträge zu halten, Artikel zu schreiben, Pflanzen zu klassifizieren, Expeditionen nach Grönland, Borneo, Belize zu leiten. «Einstweilenwill ich gar nicht, daß wir uns irgendwo auf Dauer niederlassen», sagte er zu ihr.
    Sie wollte wissen, was er damit meinte.
    «Ich meine, wir wissen doch noch gar nicht, wo wir leben werden. Womöglich ziehen wir irgendwo ein und müssen gleich wieder für die Abreise packen.»
    So etwas hatte sie die ganze Zeit befürchtet. «Meinst du damit etwa, daß du deine Frau mit deinem ersten Kind im Bauch alleine lassen willst, um noch mal für dreieinhalb Jahre zu verschwinden? Um vielleicht nie mehr wiederzukommen? Gott im Himmel, Mann, gerade haben wir geheiratet, und schon willst du mich zur Witwe machen?»
    «Ailie.
Wir
, hab ich doch gesagt,
wir
. Sir Joseph hat mir erzählt, daß die Regierung eine Kolonie am Niger gründen will – das müssen wir, damit uns die Franzosen nicht zuvorkommen. Sie hätten gerne, daß ich – wir – die Siedlung leiten. Denk doch nur.» Sein Blick war ins Leere gerichtet, fern und verschleiert. «Denk nur, was wir erreichen könnten, wenn wir direkt dort unten am Niger lebten – stell dir vor, wie weit ich die Gegend erforschen könnte, was für Entdeckungen ich machen könnte!»
    «Ich will nicht in Afrika leben», gab sie zurück, aber er hörte ihr nicht zu, hörte sie mit keinem Wort, sah sie nicht einmal mehr. Nein, er sprach mit jemand anderem, sprach mit sich selbst, pries sich Afrika an, das Land der Farbe, des Lebens und der verschwenderischen Naturschätze, wo die Flüsse vor Gold über die Ufer traten und die Erde so fruchtbar war, daß man sie gar nicht zu beackern brauchte.
    Neun Monate später, als Thomas geboren wurde, wohnten sie immer noch in Fowlshiels.
     
    In demselben Fowlshiels sitzt sie jetzt, da das erste Kind entwöhnt und ein zweites unterwegs ist, auf der Veranda, vor sich eine Tasse Kaffee, im Schoß ein geöffnetes Buch. Sommer 1801.   Nichts hat sich geändert. Es herrscht Kriegmit Frankreich. Die Preise klettern wie verrückt. Die Menschen wandern scharenweise aus. Mungo wartet immer noch.
    Seitdem sein Buch fertig ist, hat er jede Menge Zeit. Zwei Jahre mittlerweile. Er angelt. Geht auf die Jagd. Unternimmt einsame Wanderungen durchs Hügelland, verbringt manchmal eine Nacht mit Zander in den Wäldern. Seit dem Tod seines Vaters und Adams Abreise nach Indien hilft er seinem Bruder Archie auf dem Hof. Er ist schweigsam, verschlossen. Einmal kam er nicht zum Abendessen, und sie fand ihn unten am Fluß, wo er ins Wasser starrte. Er warf Steinchen hinein, eins nach dem anderen, und zählte leise mit – einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig. So hab ich in Afrika immer die Tiefe von Bächen gemessen, sagte er. Dann grinste er, zum erstenmal seit einer Woche: So was ist wichtig, wenn man hindurchwaten muß. Nachts wacht er manchmal schweißgebadet auf und schreit etwas in einer fremden Sprache. Sein sexuelles Verlangen ist erstaunlich. Er sagt, er sei glücklich.
    Trotzdem, wenn die Post aus London kommt, sitzt er wie auf Nadeln. Späht nach einem Umschlag mit dem Siegel der Regierung – oder dem von Sir Joseph. Jedesmal wird er enttäuscht. Es sind höchstens schlechte Nachrichten. Die Regierung hat ihre Aufmerksamkeit dem Krieg zugewandt, Sir Joseph meint, es sei nicht die rechte Zeit, eine zweite Expedition auszuschicken, die Franzosen dringen in Westafrika weiter vor   …
    Ailie macht sich Sorgen. Was ist, wenn der Krieg vorbei ist oder Sir Joseph es sich anders überlegt oder die Franzosen nicht mehr weiter vordringen? Sie betrachtet das gleichmäßige Dahinfließen der grünen Hügel und sieht statt dessen einen brodelnden Dschungel. Der Fötus regt sich in ihrem Leib. Irgendwo ganz hinten im Haus fängt das Jahrhundert an zu schreien.

PEEBLES
    Peebles. Es gibt keine andere Wahl.
    Ja, Peebles. Sie wird mit ihm reden, wenn er zurückkommt.
     
    Am Spätnachmittag sieht sie Mungo aus einem Lärchenhain am Feldrand hervortreten, Zander an seiner Seite. Die Sonne steht tief am Himmel, kalt und milchig, und die Bäume werfen Schattenfransen. Lange, bedrohliche, blauschwarze

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