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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Aufmerksamkeiten entgegennimmt. Aber sie ist gelangweilt und einsam, und es tut ihr gut. Was ist schon Schlimmes daran?
    «Hör mal», sagt er eines Tages gegen Ende seines Urlaubs in Galashiels, «ich weiß, was du durchmachst, aber ich bin sicher, es wird alles wieder gut werden   … ich meine, er ist ein feiner Kerl, dein Mungo, und genau wie er damals zu dir zurückgekommen ist, so kommt er bestimmt auch diesmal wieder – ich weiß, daß er zurückkommt.» Die ganze Zeit schon hält Gleg ein Buch in der Hand, ein Abschiedsgeschenk,
La Vie Réduite
von Pierre Menard. Er ringt mit seinen Gefühlen, die Worte bleiben ihm im Hals stecken, als wollte er gleichzeitig sprechen und trockene Salzmandeln schlucken. «Was ich sagen will, ist – äh   …»
    Ailie wird verlegen. Plötzlich fällt ihr sein Gesichtsausdruck an jenem schicksalhaften Morgen vor ihrer Schlafzimmertür ein. Sie will vom Stuhl aufstehen, aber er ergreift ihren Arm.
    «…   wenn irgendwas passieren sollte, weißt du, und du Hilfe brauchst – Geld, seelischen Beistand oder sonstwas   –, kannst du dich immer an mich wenden, weil ich – ich   …»
    Sie ist gerührt. Wer wäre das nicht? «Das ist sehr lieb von dir, Georgie.»
    «Du kannst dich auf mich verlassen», sagt er.

ÖFFENTLICHKEITSARBEIT
    Niemand weiß so ganz genau, wieviel ein Esel tragen kann.
    Hundert Pfund? Zweihundert? Drei? Ein halbes Dutzend Säcke mit Reis? Drei Fässer Schießpulver und eine Kiste Spiegel mit Walnußrahmen im Queen-Anne-Stil? Eine Rolle Taft im Durchmesser einer Riesen-Sequoia? Keine Frage, das Biest ist ein Lasttier, es ist zum Schleppen geboren, genau wie ein Moskito zum Blutsaugen. Aber weshalb ist das Vieh dann so mißgelaunt, so widerborstig und aufsässig?
    Sogar die Eseltreiber der Foulani hätten über diesen hier den Kopf geschüttelt. Und aus dem Trupp hat ganz bestimmt keiner auch nur die leiseste Ahnung von den feineren Nuancen der Eselsnatur. Am allerwenigsten Ned Rise. Was soll er als geborener Stadtmensch schon von unpaarhufigen Vierbeinern wissen? Oder von wulstlippigen Mohren, wenn wir schon dabei sind? Oder von Temperaturen um die 45   Grad, die einem das Hirn im Schädel backen wie die Fleischfüllung in einer Pastete?
    Sehr wohl weiß er aber, daß die Expedition ein Trümmerhaufen ist. Jetzt schon. Sieben Tagesmärsche hinter Pisania, und das Durcheinander ist vollkommen: nörgelnde Soldaten, stibitzende Neger, und die Esel brechen unter der Last der mit Schrot gefüllten Tragkörbe zusammen. Ned hatte von Anfang an seine Zweifel. Es fing damit an, daß sie 500   Pfund Reis in Pisania zurücklassen mußten, weil die Esel es nicht schafften. Fünfhundert Pfund. Nahrungsmittel.Aber natürlich wurde der letzte Schnickschnack an Tauschwaren mitgeschleppt – Nachtmützen aus rotem Flanell, Glasperlen und Glitzersteine, indischer Taft, bunte Murmeln, Leinenservietten und französisches Kristall – und Dutzende Säcke voll winziger weißer Muscheln. All das wurde den Eseln aufgeladen, die kaum noch stehen konnten. Und dann war da das merkwürdige kleine Problem mit den Führern und Trägern: kein einziger Hottentotte, ob blind, lahm oder bettelarm, wollte mit ihnen gehen. Nicht für allen Glitzertand dieser Welt. Wer also muß wohl die zusätzliche Ladung schleppen und die Esel antreiben? Erraten. Nimmt man dann noch dazu, daß der Große Weiße Held ungefähr soviel Ahnung vom richtigen Weg hat wie Jemmie Bird, dann ist es kein Wunder, wenn die Leute ständig irgendwo nachhinken, Blasen an den Füßen und vollgestunken im eigenen Schweiß, und lauthals doppelte Rumrationen und Rindfleisch zum Abendbrot fordern.
    So geht es, seitdem sie Pisania verlassen haben. Man bricht im Morgengrauen auf, feilscht mit plattnasigen Vetteln über das Wasser an diesem und jenem Brunnen, belädt die bockenden, bissigen Esel, und dann hinkt die Karawane los, die Hitze kommt wie ein Faustschlag ins Gesicht, tänzelt wie ein Preisboxer um einen herum und landet bei jedem Schritt einen Treffer. Laufen bis zum Umfallen, dann aufstehen und weiterlaufen. Bei Sonnenuntergang werden die Zelte vor den Toren von irgendeinem Scheiß-Nest aus Lehmrutenhütten aufgeschlagen und ein rußgeschwärzter Kessel mit Reis wird gekocht. Wenn man Glück hat, feilscht der weiße Held mit den Negern im Ort und kommt mit einer ausgemergelten Ziege oder ein paar senilen Hühnern an. Und dann, ehe man sich’s versieht, steht die Sonne wieder am Himmel, und der Marsch geht

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