Wassermusik
mit den wilden Blicken ihre Esel durchs Tor trieben und sich auf den langen, gewundenen Weg ins Nirgendwo machten.
UNTER SCHMERZEN
Ailie beißt die Zähne zusammen, ihr Atem ist ein gepreßtes Hecheln. Durch ein zitterndes rosa Delirium aus Schmerz hindurch denkt sie über Themen wie Endzeit und Anbeginn nach, über Kindheit, Jugend und Alter, über Knospung und Jungfernzeugung, über Bäume und Sonnenschein, leibliche Nahrung, Verwesung. Ihr Geist ist auf einmal angeregt und philosophisch, als säße sie am Schreibtisch über Büchern von John Locke, Galilei oder der Offenbarung des Johannes, dabei liegt sie flach und ist dicht davor, die wüstesten Schimpfwörter herauszubrüllen, die sie kennt. Mittlerweile haben die Vögel wieder eingesetzt, und die Fenster schimmern schon langsam im Morgengrauen. Sie beißt sich auf den Finger. In ihr ist etwas Lebendiges, Ungestümes, das ihre Knochen auseinanderpreßt und sich hinauskämpfen will.
Es ist ihr viertes, und immer noch könnte sie vor Schmerzen zucken und sich winden wie eine Spinne auf einem brennenden Holzscheit.
Unter Schmerzen sollst du Kinder gebären
, denkt sie, und dann voller Bitterkeit:
Und dein Verlangen soll nach deinem Manne sein, er aber soll über dich herrschen
. Von irgendwoher, wie durch einen Schleier undaus großer Ferne, kommt Dr. Dinwoodies Stimme, tröstlich und sanft. Dann die gemurmelte Antwort von Mary Ogilvie, dem Hausmädchen, und das Klappern von Löffel und Tasse. In dieser einfachen, heimeligen Musik liegt etwas, das Normalität und Befreiung verheißt, etwas Katalytisches. Auf einmal spürt sie, wie es losgeht: Ablauf und Vorgang sind ihr nun gänzlich vertraut, natürlich und automatisch, der Schmerz ist lahmgelegt, Herz und Lunge und Muskeln fallen in einen gemeinsamen Rhythmus, sind jetzt in athletischem Eifer gespannt, pressen dem Sieg entgegen, dem Zielband, dem Entscheidungstor. Da. Sie kann den Kopf zwischen ihren Schenkeln spüren. Dinwoodies Finger, der Zug an den Schultern, und dann der letzte, läuternde Schub zur Erlösung. Es kommt wie eine Explosion, mit einem schmatzenden, schlürfenden Ton, als wäre das Ganze der Höhepunkt einer gewaltigen Darmentleerung. Sie atmet tief ein. Es ist heraus.
Ausgelaugt sinkt sie auf das Kissen zurück und schließt die Augen. Sie hört das schnipp-schnipp der Schere des Arztes, einen klatschenden Wasserschwall, das schreiende Neugeborene. Unten hört sie ihren Vater seinen Famulus schelten, irgend etwas über Breiumschläge und Senfpflaster. Dann, direkt neben ihr, Dinwoodies Stimme, ehrfurchtsvoll säuselnd. «Es ist ein Junge, Ailie. Ein prächtiger kleiner Bursche, lebhaft wie sein Vater.»
Und jetzt liegt es in ihren Armen, rot und naß, riecht nach verborgenen Geheimnissen und dem dumpfen Duft der Gebärmutter. Ihr ist es egal. Junge oder Mädchen, Kind oder Monstrum, ihr ist alles egal. Was macht es schon aus? denkt sie, einen kupfernen, bitteren Geschmack in der Kehle. Ihr Mann hat sie im Stich gelassen. Müde und einsam hat sie einem Waisenkind das Leben geschenkt.
WORAUF MAN SICH VERLASSEN KANN
Sie bekommt Besuch, die Leute gehen ein und aus, Grinser und Glückwünscher. So ein süßer Kleiner. Kille-kille. Hallo und tschüs. Bei alledem sitzt sie an ihr Kissen gelehnt wie eine leidende Heilige und findet es seltsam, einfach seltsam, die Zielscheibe von soviel Mitleid und Bewunderung zu sein, einfach seltsam, wieder in ihrem Mädchenzimmer zu sein, wieder in dem Bett zu liegen, in dem sie fünfundzwanzig lange Jahre allein geschlafen hat. Seltsam, wieder allein zu sein.
Fast von Anfang an war klar gewesen, daß es in Fowlshiels nicht gutgehen würde. Den Umzug zu ihrer Schwiegermutter hatte Ailie als stille Kritik empfunden, als Mungos Art, ihr mitzuteilen, daß sie in Peebles versagt hätte. Da sie gewohnt war, ihren Haushalt selbst zu führen und alle Entscheidungen unabhängig zu fällen, ob es darum ging, wie der Kräutergarten zu bepflanzen war oder wie oft der Hund entwurmt werden mußte, geriet sie unweigerlich in Konflikt mit ihrer Schwiegermutter. Alles wurde noch schlimmer, als Mungo sie verließ. Es schien fast, als gebe die alte Frau ihr die Schuld an Mungos unbesonnenem, unverantwortlichem Entschluß, als wäre es sonnenklar, daß Ailie als Heimstatt versagt und ihren Mann in die Wildnis voller Kannibalen und raubgieriger Bestien vertrieben hatte. In der Küche, auf der Veranda, am Brunnen, überall fühlte Ailie die tadelnden Blicke der
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