Wassermusik
kräftigen Eseln und Männern von Schrot und Korn. Er würde den Niger aufs Kreuz legen, er, Mungo, ihn von Anfang bis Ende mit dem Zollstock abmessen und kartographieren und dann rechtzeitig nach Hause kommen, um in aller Ruhe die Weihnachtsgans anzuschneiden. Am Schluß noch ein paar kurze Worte der Sorge um sie und die Kinder. Er hoffe, das Baby sei gesund und glücklich und ein Junge. Der Brief war am 29. April datiert: vor nahezu fünf Monaten.
Sie wartet auf den nächsten. Sie wartet auf Mungos Rückkehr zu ihr. Sie wartet darauf, daß ihr Leben wieder weitergeht. Einstweilen aber hat sie ja die Kinder. Thomas, das Jahrhundertkind, ist fünf; Archibald, der im April geboren wurde, ist von der Mutterbrust zu Apfelmus und Haferbrei übergegangen. Zusammen mit Mungo junior und der kleinen Elizabeth erzeugen sie ein quengeliges Dauergeräusch, das sie entweder mit seiner Gegenständlichkeit und Direktheit tröstet oder zum Wahnsinn treibt, je nach Stimmung. Das Mikroskop hat sie seit dem Frühling nicht angerührt. Sie langweilt sich. Es ist das alte Lied.
Mit einer Ausnahme: Georgie Gleg. Er war den Sommer über in Galashiels, nahm sich Urlaub von der Uni und seiner Praxis. Jeden Tag besuchte er sie mit kleinen Geschenken in Selkirk: mit einem Blumenstrauß, einer Schachtel Pralinen, einem dreibändigen Roman. Er lud sie auf Spazierfahrten in seiner Kutsche ein, nahm sie zum Abendessen mit nach Galashiels auf den Familiensitz, oder was davon übriggeblieben war. Er unterhielt sie. Riß sie aus den Grübeleien, lenkte sie vom Warten ab, von den magenzerfetzenden Ängsten, die sie tagsüber betrübten und des Nachts heimsuchten.
Im Ort runzelte man die Stirn. Ihr Vater ermahnte sie. Schließlich sei sie eine verheiratete Frau, noch dazu die Gattin eines Heiligen und Helden. Sie wußte das, und ihr Gewissen nagte an ihr. Aber ebenso deutlich spürte sie, daß sie Mungo nichts mehr schuldig war, da er sie getäuscht und betrogen hatte, und sie würde tun, was ihr Spaß machte, pfeif auf den Anstand. Außerdem zeigten die Unternehmungen mit Georgie ja nur ihr Bedürfnis nach Gesellschaft. Dieselben Fischfrauen, die so gern über sie die Nase rümpften, keuchten und grunzten am Samstagabend in den Büschen hinterm Wirtshaus wie brünstige Säue. Nein: sie konnten ihr alle den Buckel runterrutschen. Die hatten ja keine Ahnung, was sie durchmachte, keine Ahnung, wie es war, mit seinem Latein am Ende zu sein.
DER BRIEF
Segou. Ein regnerischer Nachmittag Mitte September 1805. Vor den weißgetünchten Mauern von Mansongs Residenz hockt eine Schlange von Bittstellern und wartet auf die Erlaubnis zum Eintreten, um dem Potentaten ihre Huldigung zu erweisen. Es ist eine bunt zusammengewürfelte Menge: Stammesvertreter aus dem Westen in klatschnassen Sarongs und schlaffen Federkronen, mürrisch dreinblickende Mauren halten in Antilopenleder gewickelte Salzblöcke, zerlumpte alte Männer kauern neben erbärmlichen Ziegen, Ochsen und Affen. Da sitzen Aussätzige und junge Rangen, Sänger, Bettler und Sklaven. Und dann die Frauen: breitschultrige zänkische Dorfweiber mit Stoffballen, Weidenkörben, Singvögeln in Käfigen und diversen angeleinten Katzen, uralte Vetteln, die Körbe mit Tamarindenfrüchten vor die welken Brüste pressen, barfüßige Mädchen, schön und gut entwickelt, in Indigogewändern und mit kupfernen Armbändern, wie Paradiesvögel zur Inspektion aufgereiht.
Am Ende der Schlange, mit wehen Füßen und bis auf dieHaut durchnäßt, stehen die traurigen Gestalten von Serenummo und Dosita Sanu, Diener von Isaaco dem Schreiber und Emissäre des
tobaubo
Park. Ihre Esel sind schwer beladen mit seltenen, erlesenen Geschenken für Mansong und seinen Sohn Da. Die Geschenke reichen vom rein Praktischen (silberne Terrinen, doppelläufige Flinten und Fässer mit Schießpulver) über Genießerisches (ein Kasten «Whitbread’s»-Bier und eine Blutwurst) zum Kuriosen (sechs Paar Samthandschuhe, ein Kneifer mit Goldkettchen und eine Spieldose, die die ersten acht Takte der Arie «Ombra mai fu» aus
Xerxes
leiert). Wichtiger noch, die beiden demütigen Gesandten tragen einen Brief des Entdeckungsreisenden an den Potentaten, einen unter stärkster Geheimhaltung geschriebenen und beförderten Brief, drei Blatt Papier, die der Entdeckungsreisende offenbar für wertvoller als Gold hielt, so mächtig wie einen
saphi.
Dieser Brief. Er sei
nur
in die Hand von Mansong selbst abzuliefern, hatte der Entdeckungsreisende
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