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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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kappen, so daß die
Joliba –
samt der nassen Musketen – aus der Gefahrenzone treiben konnte, gerade in dem Moment, da die ockerbemalten Wilden mit ihren Bratspießen und Tranchiermessern aus dem Wald gestürmt kamen.
     
    Und da sind sie also – ohne Führer, ohne Kauris, ohne Waren, ohne Anker, ihre Kleider in Fetzen, von Krankheiten, Sonnenbrand und Schmalhans dem Küchenmeister gezeichnet. Der Strom trägt sie, wohin er will, der Wasserpegel fällt mit der Fortdauer der Trockenzeit, Sandbänke lecken nach ihnen wie gierige Zungen, bucklige weiße Felsen ragen aus der matten Strömung wie kahlgefressene Rippen, die Milben, Fliegen, Zecken, Flöhe und Moskitos beißen und stechen sie, und der Gestank von toten Fischen und freigelegtem Schlamm ist so faulig und drückend, daß man kaum atmen kann – da sind sie, quietschvergnügt und in Feierlaune, auf dem Weg nach Süden. Vielleicht hat Amadis Niedertracht auch ihr Gutes gehabt, überlegt der Entdeckungsreisende, während er seine Pfeife entzündet und auf die glitzernde Weite des Flusses hinausstarrt. Er hat sie zusammengeschweißt, wie kein anderes Ereignis das gekonnt hätte – vier tapfere, niemals aufgebende Briten, die dieser schlüpfrigen, verräterischen Welt von Mohren, Kannibalen und hinterhältigen, doppelzüngigen Negerlakaien vereint die Stirn bieten. Und es ist ihnen gelungen. Sie haben es geschafft. Amadis Verrat war der Tropfen,der das Faß nicht überlaufen ließ, es nicht einmal zum Erzittern brachte. Sie können mit allem fertigwerden, das wissen sie nun. Regen, Seuchen, totalen Krieg, Heimtücke, den Verlust von Freunden, Brüdern und Kampfgenossen, die marternde Ungewißheit der Flußfahrt nordwärts in die Wüste – das alles haben sie hinter sich. Der Rest ist gar nichts, ein Kinderspiel.
    Genau zu diesem Zeitpunkt streicht der erste Schatten über das Gesicht des Entdeckungsreisenden – umspielt die Peripherie seines Bewußtseins wie ein Insekt, das über einem Teller Pudding kreist, drängt sich aber doch nicht ganz hinein. Seine Gedanken haben den assoziativen Sprung von
Kurs nach Süden
über
Kinderspiel
bis
London, Ruhm, Selkirk
und
Ailie
vollzogen, und er kratzt sich nachdenklich am Knöchel, denn an diesem letzten Fundstück seiner Phantasie bleibt er hängen. Ailie. Er fragt sich, was sie wohl macht, ob sie gelangweilt, verärgert, enttäuscht ist. Enttäuscht wäre sie mit vollem Recht, das gibt er ja zu. Jetzt ist er schon zwanzig Monate fort, und wie viele es noch werden, das weiß der Himmel allein. Die Ärmste. Er sieht sie vor sich, wie sie nach ihm schmachtet, den Briefträger belauert, immer wieder in seinen
Reisen
liest, bis die Seiten auseinanderfallen. Naja, er wird es wiedergutmachen. Ganz bestimmt. Sie kann mit nach London kommen, wenn er das neue Buch schreibt – das Zander gewidmet sein wird, und ihr natürlich auch   –, und sie kann alles haben, was sie will: eine Kutsche, Schmuck, Kleider, Diener, Mikroskope   … Nun huscht der zweite, dann der dritte und vierte Schatten über sein Gesicht, und im Reflex hebt er den Blick zum Himmel.
    Ned hat sie schon gesehen. Geier. Acht, zehn, zwölf sind es schon, und weitere stoßen hinzu. Weit verteilt wie fliegendes Laub stehen sie dort oben still in der Luft, mit reglosen, stummen Schwingen gleiten, schweben, kreisen sie über dem Boot, als formten sie ein gewaltiges Mobile.Es ist eine Versammlung, eine Synode der Aasfresser. Schwarze Schwingen vor weißen Körpern, Augen wie Klauen, so warten dort gewöhnliche Schmutzgeier unter großen königlichen Gänsegeiern mit einer Flügelspannweite von 2,30   m , und darüber kratzen die noch größeren nubischen Ohrengeier am Dach der Welt wie Überbleibsel des Reptilienzeitalters. Und nun kommen ihnen Schwärme von Krähen und Gleitaaren und große, schlaksige Marabus mit Schnäbeln wie Fleischermesser an die Seite geflitzt, wie Schiffshalterfische einem Rudel Haie, wie fliegende Hyänen. Binnen zehn Minuten verdunkeln sie den Himmel, kreisen schweigend über ihnen, Dutzende über Dutzende brennender gelber Augen starren gespannt auf den vor Hitze wabernden Baldachin und den ausgehöhlten Rumpf der
Joliba
hinab.
    Ned beobachtet sie mit gerecktem Hals. Und Martyn, steif und formell wie immer, wenn auch in Lumpen gehüllt und von Insektenstichen übersät, ist aus seinem Schlupfwinkel unter dem Baldachin hervorgekommen, schirmt seine Augen ab und starrt mit ernstem Blick zu den reglosen schwarzen Gestalten empor, zu den

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