Wassermusik
wie der Schwarze Mann sich auf das schlafende Kind hechtet – ist er da! Unermüdlich und total fixiert trabt er neben der Karawane her und späht in die Staubwolke hinein, die Augen vor Zorn so verschwiemelt, daß sie aussehen wie hartgekochte Eier. Seine Schienbeine sind voller Kratzer und blauer Flecken, von den Waden rinnt ihm das Blut. Er dreht sich nicht einmal in ihre Richtung um.
Tief in den Büschen streckt Johnson die Arme aus, die Handflächen nach oben.
Der Entdeckungsreisende starrt ihm in die Augen, ein blödes, euphorisches Grinsen legt sich über sein Gesicht, und er läßt auf die ihm entgegengehaltenen Handflächen die eigenen klatschend niederfallen.
DIE STRASSEN VON LONDON
Zu jener Zeit waren die Straßen Londons verpestet, verkotet und mit Krankheitserregern verseucht wie eine endlose Serie von Misthaufen, doppelt so gefährlich wie ein Schlachtfeld und ebenso unregelmäßig gepflegt wie die tiefsten Verliese des Narrenkerkers. Es war ziemlich wüst. Betrunkene lagen quer über den Fußwegen, manche tot und stinkend und von Krähen bedeckt. Ganze Familien kauerten an den Ecken und bettelten um Brot. In den Seitengassen wurden Morde verübt. VergilbteZeitungen klebten an den Laternenmasten, Steingut- und Flaschenscherben knirschten beim Gehen unter den Füßen, Gemüsereste und Geflügelknochen verwesten an den Mauerrändern. Schweinescheiße überall. Schlamm, Kohlenstaub, Asche, tote Katzen, Hunde, Ratten, mit Exkrementen verschmierte Lumpen, und das Schlimmste waren die offenen Kloakenkanäle. «Sir, wir leben wie in einer Hottentotten-Kolonie», klagte Lord Tyrconnel in einer Rede vor dem Oberhaus. «Unsere Straßen quellen über von derartigen Dreckbergen, daß selbst ein Wilder staunend davorstünde.» Andere pflichteten ihm bei. Eine Gesellschaft für Öffentliche Reinlichkeit wurde gebildet, eine Sozietät für Saubere Luft. Man veranstaltete regelmäßige Treffen, hielt sich an die
Richtlinien Parlamentarischer Prozedur von
Bledsoe, rügte Mängel und erreichte rein gar nichts.
Immerhin gab es ein paar private Mistsammler und eine Handvoll Straßenfeger. Doch die Mistsammler trugen den Kot nur zu bestialisch stinkenden Haufen in ihren Hinterhöfen zusammen, und die Straßenfeger schufen lediglich dampfende Dreckberge. Doch der überwiegenden Mehrheit der Einwohner blieb gar keine andere Möglichkeit der Abwässerbeseitigung als ihre eigenen Hinterhöfe und die überlaufenden Gullyrinnen, die die Verkehrswege zerteilten wie langgezogene Wunden. Verbissen stapften Geschäftsinhaber hinaus auf die Straße, um ihre Nachttöpfe auszukippen, Wirte kalkten die Außenwände der Kneipen, um den Uringestank abzutöten, Haushälterinnen schmissen den nächtlichen Mist eimerweise aus den Fenstern des zweiten und dritten Stocks. «Vooor-sicht, Schiete!» rief das Dienstmädchen, und gleich darauf flog ein dunkler Brocken im hohen Bogen über den Bürgersteig und landete klatschend auf der Straße, von wo er dann zentimeterweise auf die faulige Kloakenrinne zurutschte. Dies war natürlich recht lästig für den zufälligen Passanten,der meist ohnehin schon hinkte und seine Kleider abputzte, da er soeben in einen offenen Kellerverschlag gefallen war oder es mit einem der mehreren tausend tollwütigen Hunde zu tun bekommen hatte, die nach Belieben in der Stadt umherstreiften. Und als wäre all das nicht genug, waren die Gullys für gewöhnlich randvoll mit Pferdedung, Schweineohren und anderen Schlachtabfällen verstopft, so daß sich die Abwässer in dunklen Bächen und dampfenden Sümpfen stauten – der Fußgänger stand nicht nur bis zu den Knöcheln im menschlichen Kot, er mußte außerdem noch den herumfliegenden Klumpen ausweichen, die von vorbeifahrenden Kutschen aufgewirbelt wurden.
Da die Straßen dermaßen unerfreulich waren, pflegten die bemittelten Stände per Kutsche oder Sänfte von einem Ort zum anderen zu gelangen. Die Sänfte war besonders gut an Zeit und Ort angepaßt, bot sie doch den Privilegierten Bequemlichkeit und Sicherheit, außerdem einigen wenigen der hungernden Massen eine Verdienstmöglichkeit Sie bestand aus einem geschlossenen Abteil, an dem seitlich parallele Stangen befestigt waren. Diese Stangen wuchteten sich die Sänftenträger auf die Schultern, einer vorne, einer hinten. Die Träger, verarmte Produkte der Inzucht mit Hasenscharten und deformierten Köpfen, verdienten ein paar Pennies; die Dame, die zum Tee ausging, kam dort an, ohne daß ihr Petticoat mit
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