Wasserwelten
könne ihre Wachsamkeit etwas ausrichten und ihnen helfen, falls etwas geschah. Der Junge spürteeinen Druck auf dem Trommelfell, er machte Schluckbewegungen, sammelte Speichel auf seiner Zunge und schluckte ihn hinab, und als der Druck dauerte, preßte er sein Gesicht gegen das Helmfenster und atmete heftig durch die Nase aus. Er tat es so lange, bis es in seinem Ohr deutlich knackte und das Trommelfell wieder entspannt war.
Sie drangen vor bis zu den Aufbauten und glitten zur Brücke, sie wollten zuerst ins Kartenhaus rein, aber das Schott hatte sich versetzt, und sie mußten es aufbrechen. Jetzt schaltete der Meister die Handlampe ein – er arbeitete fast immer ohne Handlampe –, aber diesmal schaltete er sie ein, weil er etwas suchte. Er leuchtete langsam das ganze Kartenschapp aus, und plötzlich zeigte er mit der Hand auf eine aufgebrochene, stählerne Spindtür und machte ein Zeichen. Es war ein kurzes, bedeutungsvolles und resigniertes Zeichen, ein rasches Abkippen der Handfläche nach außen, und der Junge hatte dieses Zeichen gesehen und wußte, daß sie nicht die ersten waren auf dem schäbigen, kleinen Munitionsdampfer. Der Meister leuchtete in das aufgebrochene Spind hinein – es war leer. Und sie arbeiteten sich wieder zum Deck hinab, zur vorderen Ladeluke, und gaben den Männern auf dem Prahm ein Zeichen, das Stahlnetz langsam runterzufieren. Der Junge blickte hinauf und sah, wie das Netz in den Spiegel des Stromes einbrach und sich geheimnisvoll und lautlos zu ihnen herabsenkte auf das Deck. Sie mußten dem Netz ausweichen, und sie fingen es ab und breiteten es aus. Dann trieben sie hinab in die vordere Munitionskammer.Und während der steten, sinkenden Bewegung dachte der Junge an Bleikappen und an die Säure, die das Blei angreift und sich unermüdlich hindurcharbeitet bis zum Zünder, und er dachte an die Torpedoköpfe draußen auf der gesperrten Halbinsel: sie hatten sich in einer Nacht selbst entzündet, in jener Nacht hatte die Säure das Blei durchstoßen, und eine gewaltige Explosionswelle war über den Strom gerollt. – Obwohl er zum ersten Mal nach Munition tauchte, fühlte er alle Gefahr und alle Bedrohung; er war noch nie in seinem Leben nach Munition runtergegangen, aber er kannte alle Möglichkeiten des Unheils. Plötzlich stieß er mit der Schulter an, er streckte die Hand aus und ergriff einen Deckel, und er hielt ihn fest und lauschte in das Luk hinab. Er spürte sein Herz und den Druck des Wassers, und er machte schnelle Schluckbewegungen, um den Druck auszugleichen. Einen Meter unter sich ahnte er den schwarzen Berg von 15-cm-Granaten, er glaubte sie zu sehen, obwohl er nichts sehen konnte: liebevoll gestapelt und sauber verteilt mit der unendlichen, gewissenhaften Sorgfalt, die man nur für 15-cm-Granaten aufbringt, eine Pyramide, zusammengetragen mit gespenstischer Zärtlichkeit. Er glaubte die Granaten zu sehen, und er glaubte auch die zu sehen, die die Granaten hier aufgeschichtet hatten, und er dachte daran, daß er unten war, um sie in das Netz zu legen und den Haken des Flaschenzugs zu befestigen. Und er ließ den Deckel los und ging tiefer. Er ließ sich hinab, bis er auf dem Boden des vorderen Luks stand und den Meister ertastete; als er ihn an der Hüfte berührte,flammte die Handlampe auf. Der Schein wanderte durch den Laderaum, stieß an die Bordwand, lief nach allen Seiten: der Laderaum war leer!
Sie durchsuchten das ganze Vorderschiff, leuchteten alles aus und brachen überall ein – der kleine, schäbige Munitionsdampfer war leer. Der Junge stand jetzt neben dem Tauchmeister, und er bemerkte, daß die Hand des Tauchmeisters einmal nach außen abkippte. Sie waren hier nicht die ersten.
Dann tauchten sie auf. Sie blieben eine Zeit auf halber Tiefe, um den Druck auszugleichen, dann kamen sie neben dem Prahm an die Oberfläche, trieben rücklings im Wasser und wurden an Bord geholt. Die Pumpenleute schraubten ihnen die herrlichen kupfernen Helme ab und legten sie auf das Deck; sie leuchteten in der Sonne. Und der Meister sah auf die Helme herab und sagte: »Sie waren schon hier, Junge. Sie kommen nachts her mit einem kleinen Boot. Und sie gehn runter, Junge, in all der Dunkelheit und ohne Helm, und arbeiten unten. Sie haben U-Boote ausgebaut mit Tauchgeräten nach Hausmacherart, sie haben tonnenweise Batterien ans Ufer geschleppt, und sie haben auch Granaten rausgeholt. Sie haben Geld gemacht, so viel wie wir nicht in zehn Jahren verdienen. Sie zahlen dem Tod
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