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Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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Provision. Du triffst keine Männer auf der ganzen Welt, Junge, die so sind wie sie. Sie beißen einen Torpedo auf, wenn es sein muß, oder hängen sich eine Mine an die Uhrkette. Ich sage dir, Junge, auf der ganzen Welt triffst du keine Männer wie diese.«
     
    Das ist der Hafen: ein Hort der Geheimnisse, ein Umschlagplatz für Geschichten, ein Rendezvous der Welt ... Geh hinab auf die Pier, die Schuppen und Kneipen entlang, geh über die Decks der Schiffe und an der Werft vorbei, wo sie die alten, raunenden, meerwinderfüllten Dampfer abwracken: – du wirst es überall spüren ...
    In den Häfen brechen sie auf, hier erlebst du den Aufbruch von großen Vaganten, von Weltumseglern, Abenteurern und träumenden Toren ... von Männern, die anderen entfliehen wollen, und von solchen, die sich selbst entfliehen möchten ... Hier, im Hafen, machen tausend Leben ihre Bilanz, hier schließen sie ihre Rechnungen ab, und hierher kommen sie zurück und suchen nach verlorenen Anfängen ... Und zwischen Aufbruch und Rückkehr geschehen weitere Geschichten, Hafengeschichten ...
    Hier, unter dem violetten Zischen der Schweißbrenner, dem Tuten der Sirenen und dem Fluchen der Stauer, unter dem kreischenden Sturz der Möwen und dem Rufen besoffener Lords – in all der menschlichen Herrlichkeit von Arbeit und Vergessen, von Wagnis und Gesang, hier wirst du die Welt vorfinden, ihre Essenz, ihren zerlaufenden Spiegel. Dreh dich langsam zur Seite wie der wandernde Lichtstrahl des Leuchtturms ... Dreh dich wie das Radargerät oben am Mast des australischen Dampfers, wende nur deinen Blick, und du wirst eine andere Geschichte sehen ... Und vielleicht wird es eine Geschichte sein wie diese ...
     
    Unter Mittag warf das holländische Motorschiff »Willem« die Leinen los und verließ ohne Schlepperhilfe das Hafenbecken. Es lief mit langsamer Fahrt den Strom hinab, tuckernd und tiefgehend, und außer dem Rudergänger war nur ein Mann an Deck. Er stand achtern beim Flaggen- stock, die Hände auf die Reling gestützt, und er blickte zu den Werften hinüber, wo schrille, tackende, ratternde Arbeitsgeräusche erklangen. Und während das Küstenmotorschiff weiterglitt, wurde auch sein Blick von der Werft mit all ihrer Arbeit abgezogen, der Blick des holländischen Leichtmatrosen Piet Oppenkouter glitt das befestigte, betonverankerte Ufer entlang – ein ruhiger, abschiednehmender Blick. Und dann sah er das Mädchen, er sah es von der Mitte des Stromes, ein Mädchen im grünen Kleid. Es stand am Ufer auf einem Zementsockel, stand allein da unter dem flachen, verhangenen Horizont, und es blickte herüber. Und plötzlich bemerkte Piet, daß das Mädchen die Hand hob und winkte, es war ein langsames, nachdenkliches Winken, und Piet Oppenkouter zögerte, anzunehmen, daß dieses Winken ihm galt. Er blickte zum Ruderhaus hinüber, aber der Rudergänger hatte seine Augen voraus, und dann versicherte er sich, daß sonst niemand an Deck war außer ihm: das Winken galt ihm, Piet Oppenkouter, dem rothaarigen holländischen Leichtmatrosen auf dem Küstenmotorschiff »Willem«. Solange er fuhr – und er war über ein Jahr an Bord –, solange er unterwegs gewesen war mit der »Willem«, hatte ihm allein noch nie jemand so ausdrücklich gewinkt. Und er sah schnell zu dem Mädchen zurück, das immer noch winkend auf demZementsockel stand, und er winkte zurück. Und das Mädchen stand lange und aufrecht da, allein unter dem flachen Horizont, und sie winkten einander so lange zu, bis sie ihren Blicken entschwunden waren. Und der Junge fuhr an den Küsten hinauf bis nach Schottland, sie hatten wenig Fracht, und ihre Arbeit bestand nur aus Rostpicken und Farbewaschen und Nachdenken, und Piet Oppenkouter, rothaariger, verstockter Leichtmatrose, dachte immerfort an das Mädchen. Er sah sie in dem grünen Kleid auf dem Zementsockel stehen, ein paar hundert Meter entfernt, und er sah ihr nachdenkliches, nie zu Ende gehendes Winken und hatte sich genug versichert, daß es nur ihm galt. Und dann brachte sie ein Auftrag wieder in diesen Hafen zurück, und obwohl er Freiwache hatte und auf Vorrat schlafen mußte, stand er wieder auf dem Achterdeck neben dem Flaggenstock und blickte voraus. Dann kam die letzte Biegung des Stromes, und er lehnte sich weit über die Reling vor Ungeduld, um den Zementsockel auszumachen. Es war Mittag, als sie die Werften passierten, und zwischen ihnen, auf dem Zementsockel, entdeckte er das Mädchen wieder: es stand starr und seltsam

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