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Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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Licht gesehen, im flirrenden Mittag und in dichter Nacht, aber alle Häfen, durch die er gegangen war, hatten nur eine Erinnerung für ihn: sie hatten ihn, wo er auch landen wollte, zurück- und abgeschoben, sie hatten ihn weitergeschickt um diese Welt, und das alte, schwarze französische Schiff hatte ihn durch die Meere getragen und die Ströme hinauf zu den Häfen, und er hatte Küste um Küste gestreift und kein Land unter den Fuß bekommen.
    Die Posten traten jetzt an der Gangway zusammen und unterhielten sich. Die Nacht war kalt, und der Mann im Schatten des Bootsdecks ging den Niedergang runter und öffnete eine Tür. Als Licht durch den Türeingang fiel, sahen die Posten herauf, aber der Mann war schon verschwunden. Er ging nach unten, ins Vorschiff, wo sie ihm zu schlafen erlaubt hatten und wo er für sie arbeitete, und er erschien während der Nacht nicht mehr an Deck. Er erschien auch am nächsten Tag nicht an Deck, er hatte durch das Bulleye die Posten gesehen – es regnete, und die Posten trugen graue Regenmäntel. Während des ganzen Tages löschte das Schiff Stückgut, und der Mann blieb unter Deck und schäkelte das Lastennetz ein und fegte den Laderaum. Und am Abend deckten sie die Ladeluken ab und riefen den Schlepper.
    Und jetzt ging der Mann hinauf in den Schatten des Schornsteindecks und beobachtete reglos die Posten. Sie standen auf der Pier, rauchten und unterhielten sich und sahen zu, wie die Gangway des Schiffes eingeholt wurde und die drahtvergitterte Lampe. Und plötzlich durchlief ein schweres Zittern den schwarzen Körper des Schiffes, die Maschinen begannen zu arbeiten, und die Sirene rief aus der Dunkelheit des Hafens zwei Schlepper heran. Und dann warfen die Posten auf Zuruf die Leinen von den Pollern los, die schweren Stahlleinen klatschten ins Wasser, wurden an Deck eingeholt, und gleichzeitig steckten sie andere Leinen für die Schlepper durch. Und während die Männer auf den Schleppern mit Bootshaken die Leinen aufnahmen und sie auf die Sliphaken legten, trat der Mann aus dem Schatten des Schornsteindecks. Er blickte hinab auf die Pier, er beobachtete den bedächtig zunehmenden Abstand zwischen Pier und Schiffsleib und die Posten, die sich auf das Gestänge eines Krans gesetzt hatten. Und dann ging er den Niedergang herab, weiter im Schatten der Rettungsboote, bis auf das stumpfe Heck des Schiffes. Er stand an einer Stelle, wo sie die Reling umgelegt hatten für das Manöver, er stand unbemerkt da und sah hinab auf den breiten, gedrungenen Schlepper, der mit kurzer Leine anzog. Der Schlepper lag nicht weit unter dem Heck des Schiffes; es war nur der Rudergänger an Bord, der Heizer und der Mann mit dem Bootshaken in der Hand. Und er blickte auf den Mann unten und dachte an die hundert Häfen, die er gestreift hatte; er dachte an den Augenblick in Macao und daran, daß dieserAugenblick ein ewiges Urteil für ihn enthalten sollte. Die Posten waren jetzt nicht mehr zu erkennen, und auf dem Deck waren alle beim Klarmachen und Aufschießen der Leinen, es war eine sternlose Nacht. Und er trat ruhig auf die Bordkante des Schiffes, und als die Sirene den Schleppern ein Zeichen gab, sprang er und landete gut an der Breitseite des Schleppers. Er schoß hinab in das schwarze, schmierige, eiskalte Wasser, arbeitete sich wild empor, und er brauchte nicht zu rufen und kein Zeichen zu geben, denn der Mann mit dem Bootshaken hatte seinen Sprung gesehen. Als seine Hände auftauchten aus dem Wasser, war die Spitze des Bootshakens genau über ihm, er ergriff sie beim ersten Versuch, und der Mann auf dem Schlepper zog ihn heran und holte ihn schweigend und mit ungeheurer Anstrengung an Bord. Er schickte ihn wortlos runter in die Kajüte und starrte auf die Leine und den Sliphaken, und manchmal sah er zum Schiff hinüber, aber da hatte auch niemand das Verschwinden des Mannes bemerkt. Der Schlepper bekam jetzt ein ungeduldiges Zeichen mit der Sirene, mehr und stärker achteraus zu ziehen, denn das Schiff schwojte plötzlich auf die Pierkante der Beckenausfahrt zu. Dann bekam er das Zeichen zu stoppen, und der vordere Schlepper zog mit aller Kraft, aber das alte, gewaltige Schiff kam immer näher an die Pierkante heran. Der achtere Schlepper krängte heftig nach Steuerbord, die Leine hing kurz und fürchterlich stramm, und der Schlepper, der seine Maschine gestoppt hatte, wurde hineingerissen in die schwojende Bewegung. Er krängte schon vierzehn und sechzehn Gradnach Steuerbord, und sie überlegten

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