Wasserwelten
feierlich auf dem Sockel, ohne zu winken. Es blickte nur herüber zum Schiff, und der Junge an der Reling starrte betroffen zu ihr hin. Aber plötzlich begann sie zu winken, so, als ob sie ihn erkannt hätte, sie winkte versunken und grüblerisch, und er nahm das Winken auf und lief an der Reling entlang und winkte zurück. Er war sicher, daß sie ihn wiedererkannt hatte, und er winkte so lange, bis das Schiff hinter den Werften verschwand.
Sie machten fest und nahmen Koks für Schweden an Bord, und als sie ausliefen, waren sie im Kielwasser eines englischen Passagierdampfers. Und der rothaarige Junge entdeckte schon von weitem das Mädchen auf dem mächtigen Zementsockel, er sah es reglos zu dem Passagierdampfer hinüberblicken, ohne sich zu bewegen, ohne zu winken. Und dann waren sie querab, die »Willem« lag genau auf der Höhe des Mädchens, und bevor Piet seine Hand gehoben hatte, sah er schon, daß sie ihm winkte. Und jetzt wußte er, daß das Winken ihm galt, ihm allein, dem rothaarigen Leichtmatrosen Piet Oppenkouter.
Und sein Schiff fuhr die Küsten Europas entlang, Wochen und Monate, und wenn er zurückkam in diesen Hafen, stand das Mädchen da und winkte, winkte ihm allein. Und wo immer er war, dachte er an sie, und wann immer sie Order erhielten, diesen Hafen anzulaufen, bereitete er sich auf das Ereignis des Winkens vor: ihm war zumute, als ob er heimkäme, obwohl er das Mädchen nie gesehen hatte. Er gab ihm einen Namen, während er unterwegs war, er setzte sich hin während der Freiwache und schrieb Briefe, Briefe, die niemals den erreichten, dem sie zugedacht waren – und jedesmal, wenn er sie am Ufer gesehen hatte, forschte und grübelte er danach, woher sie das Datum ihres Einlaufens erfahren hatte.
Und in einem Herbstnebel hatten sie eine leichte Kollision auf dem Strom, der Steven wurde verbogen, und die »Willem« ging für einige Zeit ins Dock: die Besatzung nahm Urlaub. Und der Junge ging an den Werften vorbei, gemächlich und versonnen, er ging allein die Straße hinauf,die ein Stück neben dem Strom lief, und dann fand er den großen, schrägen, unvergeßlichen Zementsockel. Er war leer. Piet ging hinauf bis zur vorderen Kante und blickte über den Strom, er blickte einem Schlepper nach, der mit großer Kraft vorbeirauschte, kleiner und kleiner wurde und zur Mündung des Stromes hin verschwand. Dann sprang er hinab auf das Ufer und sah zu dem kleinen, ziegelroten Haus auf dem Sandhügel hinüber, und unvermutet ging er den weichen Weg hinauf. Er ging zur Tür und überlegte nicht einmal, was er sagen würde, wenn die nußbraune Tür sich öffnete. Und der Junge klopfte an und zog die saubere Schiffermütze vom Schädel, er stand rothaarig und groß und rasiert auf der zementgegossenen Treppe und wartete. Und auf einmal öffnete sich die Tür, der Spalt wuchs, und er sah zuerst eine Krücke mit einem Gummiabsatz, und dann eine Hand und schließlich das Mädchen. Und das Mädchen lächelte. Der Junge ging die Treppe hinauf und gab ihr die Hand. Sie stand blaß und leicht und mit traurigem Lächeln vor ihm, und als er das Lächeln aufnahm und nicht zurückging und stehenblieb, sagte sie: »Der Tee ist noch warm, wir wollen hineingehen.« Und er nickte und ging hinein.
Geh hinab in den Hafen und schau auf deine Stadt. Über Meere und Ströme segelt großer, geheimnisvoller Gewinn heran. Er ist auf Karavellen in die Häfen gekommen, auf Koggen und Kaperschiffen, auf Schonern und Leichtern und Briggs, er kam auf Fregatten, Korvetten und Trawlern, und heute zieht legendärer Gewinn mit gigantischen Tankern herein, mit vielfassenden Frachtern und schneeweißen Fruchtdampfern ... Und wenn du entlangstreifst an ihnen in deinem kleinen Boot, dann erstaunst und erschrickst du angesichts der Größe, und du glaubst, da triebe ein Kontinent vorbei, ein ganzer fahrbarer Erdteil mit Schätzen. Und du denkst und träumst dich vielleicht hinein in ihr Inneres, und du steigst über Berge goldenen Tabaks aus Virginia, du steigst über Stapel von Holz aus den Wäldern Finnlands, über schwedisches Erz und ein Gebirge aus dänischem Schweinespeck – oh, und du siehst Jute und Juchten, Kaffee und Konserven, hochgetürmt und gestapelt von einem Kumpel an ferner Küste ... Und dann streckst du vielleicht deine Hand aus und spürst die ganze Nähe und Herrlichkeit der Welt, du spürst ihr Glück und ihre Wärme und ihre Versuchungen ... Und du siehst die Schatten hinter den Bergen von Reichtümern, du
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