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Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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einer Kopfader, und du tust gut daran, schnell aufzutauchen. Wenn du aber gezwungen bist, schnell aus größerer Tiefe aufzutauchen, dann laß dich in einer Taucherdruckkammer auf halben Druck setzen, sonst stehst du nicht lange auf den Beinen ...
    Die Nacht des Tauchers, 1954
     
     
     
     
    Er ging höher hinauf, zurück auf das Deck und blieb plötzlich stehen: er hatte ein klopfendes Geräusch im Ohr, es war der Puls einer Kopfader, der klopfte und zählte, es wurde immer stärker und furchtbarer, und der Mann umklammerte die Signalleine. Er nahm einen zunehmenden Druck auf sein Trommelfell wahr, er machte Schluckbewegungen, sammelte Speichel auf seiner Zunge und schluckte ihn hinab, und als der Druck dauerte, preßte er sein Gesicht gegen das Helmfenster und atmete heftig durch die Nase aus. Er tat es so lange, bis es in seinem Ohr deutlich knackte und das Trommelfell ein wenig entspannt war; das Klopfen wurde jetzt erträglicher, aber ein anderes Geräusch trat ein, ein Mahlen und Summen in seinem Schädel. Der Mann kannte dieses Geräusch, er hatte es oft gehört, wenn er unten war und eine Schiffsschraube über ihm gearbeitet hatte, doch er kannte es nicht in dieser verletzenden Stärke, in dieser heimsuchendenGewalt, die ihn benommen machte und unfähig, etwas zu tun. Er konnte keinen Schritt mehr machen, er konnte sich nicht mehr orientieren, das mahlende Geräusch in seinem Kopf rief ein schweres Schwindelgefühl hervor, und der Mann riß einmal an der Leine, tat einen einzigen langen, verzweifelten Zug und signalisierte: ›Holt mich rauf!‹
    Der Mann im Strom , 1957
     
     
     
     
    Regeln für Taucher
     
    ... wenn du erkältet bist oder Schnupfen hast, dann sei vorsichtig beim Tauchen. Du spürst einen Druck auf dem Trommelfell, und dieser Druck kann mitunter so schlimm werden, daß dein Trommelfell platzt. Du mußt versuchen, den Druck auszugleichen, indem du Schluckbewegungen machst, Speichel hinunterschluckst oder die Nase gegen das Helmfenster drückst und heftig durch die Nase ausatmest. Tu das so lange, bis es im Ohr einmal knackt. Dann ist dein Trommelfell entspannt. Wenn es nicht knackt, komm nach oben, dann hat’s keinen Zweck, und du holst dir nur etwas weg dabei ...
    Die Nacht des Tauchers, 1954
     
     

     
    Das Wasser war ölig und trübe, und ich schaltete die Handlampe ein und schwebte auf den schäbigen kleinen Frachter runter. Er lag etwas auf der Seite, der Schein der Lampe glitt über seinen Namen, aber ich konnte den Namen nicht lesen. Es hatte ihn sauber am Heck erwischt, die Bombe hatte die Schanz durchschlagen und hatte ihn furchtbar aufgerissen, er mußte schnell weggesackt sein. Er lag da, als ob er schliefe. Und ich glitt über das aufgerissene Deck und zog mich an den Aufbauten rauf. Ich wollte zur Brücke, aber das Schott klemmte, und ich brach es mit dem Messer auf und leuchtete alles mit der Handlampe aus. Und dann fand ich sie beide, sie hingen in einer Ecke des Kartenhauses, in schmerzlicher Umklammerung, und ich leuchtete über ihr flutendes Haar und ihre Gesichter und sah, wie ähnlich sie sich waren. Es mußten Vater und Sohn sein, und ich starrte sie an und versuchte mir, ihre letzten Minuten vorzustellen. Ich sah das Bild groß und unwiderstehlich auf mich zukommen, ich sah die beiden Männer an Deck und glaubte, noch einmal ihre letzten Minuten zu erleben ...
    An das und an die Anfänge dachte ich, während Timm mich nach Hause brachte ... Es waren schwierige Anfänge und verzwickte, ich erfuhr es nach und nach ... Ich erfuhr beispielsweise, daß in Hamburg eine Hafenordnung besteht, wonach der Eigentümer eines gesunkenen Schiffes verpflichtet ist, das Wrack zu beseitigen ... Natürlich, kurz nach dem Krieg, da kamen die Eigentümerund erhoben Einspruch gegen diese Verordnung. Und sie sagten, in diesem Fall sei das Sinken ihrer Schiffe ein »Act of God«, höhere Gewalt ... Aber die Wracks mußten trotzdem geborgen werden, und da halfen die Engländer ... Sie bildeten die »salvation group«, wie sie es nannten, und stellten mit den Hamburger Taucher- und Bugsier-Formen einen Plan auf, wie man die vielen gesunkenen Schiffe bergen könnte ... Unter den 2830 Wracks waren ja 105 Seedampfer, die je mehr als 2000 Tonnen hatten, und auch ein Neubau der Hamburg-Amerika-Linie war dabei, ein mächtiges Ding von 32 000 BRT, und dann ein kleineres Schwimmdock ... man mußte schon einen Plan haben, wenn man sie alle heben wollte ... Und zuerst gingen wir ran und machten

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