Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
Vom Netzwerk:
Flutventile offen und versuchte mir vorzustellen, was hier geschehen war. Ich stand wie erstarrt da, während ich sein Ende mitzuerleben glaubte. Vielleicht war er Chief auf diesem Dampfer gewesen, Ingenieur. Vielleicht hatte er die Flutventile gar nicht geöffnet. Ich wurde hineingezogen in den Strudel von Vorstellungen und glaubte auf einmal alles wieder zu hören ...
    Der Munitionsdampfer hatte kein Leck, er war von keiner Bombe getroffen worden. Die Besatzung hatte ihn selbst geflutet. Wir hoben ihn und entfernten die Munition, und dann wurde er mit Schweißbrennern zerschnitten. Seine Teile lagen nicht lange herum. Aber ich werde immer an ihn denken, immer, wenn ich an dieser Stelle vorüberkomme, werde ich an den Mann denken, den ich allein im Maschinenraum vorfand, dicht vor dem geschlossenen Schott ...
    Timm brachte mich nach Hause, und ich sah auf das kleine Licht des Landungsstegs. Und ich dachte an das, was wir vorfanden und erlebten, ich dachte an die Schicksale der Menschen, die mit den gesunkenen Schiffen verbunden waren und die ich mir vorzustellen versucht hatte, vielleicht waren sie anders verlaufen, vielleicht genau so, ich weiß es nicht ... Es ist immer ein bitterer Augenblick, wenn eine Biographie endet, denn damit endet auch die Herausforderung an die Welt ... Ich hatte mir diesen Augenblick immer vorzustellen versucht, ich war gezwungen dazu, denn ich hatte ihn gleichsam konserviert vorgefunden ... Und ich dachte noch einmal an die Schicksale der 2830 Wracks ... Konnte ich daran denken? Erträgt das noch unser Gedächtnis? Vielleicht sollte man sich davon freimachen, leerdenken von Erinnerung, vielleicht wäre das gut ... Du spürst, wie mächtig diese Neigung ist, der Wunsch, zu verdrängen, zu vergessen. Du glaubst, du möchtest nur deine Ruhe haben, aber dann spürst du, daß es dir guttut, auch deine Unruhe zu haben, du spürst, daß du nicht ohne sie auskommst. 2830Schiffe, Schuten, Kräne, Barkassen, Yachten und Kähne – du denkst an sie und an die Menschen, die sich auf ihnen befanden, du denkst an die Fracht, die sie trugen, an Munition, Nahrung, Autos, Pferde, Benzin, Waffen, Kosten und Konserven, du denkst an das Ende, mit dem alles wieder beginnt ...
    Die Nacht des Tauchers, 1954
     
     
     
     
     
    Die Bergung
     
    SIE  Mach ruhig das Licht an.
    ER   Du bist noch nicht im Bett?
    SIE  Ich hab gewartet.
    ER   Es muß gegen drei sein.
    SIE  Ich hab Übung.
    ER   Die Kinder?
    SIE  Hab ich dich richtig verstanden? Fragtest du nach den Kindern?
    ER   Hör schon auf ... Schau dir an, wie’s draußen regnet ... Ohne Mantel – ich war bis auf die Haut naß geworden ... Hat Oswald Ärger gemacht?
    SIE  Die Gläser stehen immer noch da.
    ER   Was?
    SIE  Ich sagte, die Gläser sind auf der Anrichte. Du willst doch sicher noch etwas trinken.
    ER   Ich hab dich nach Oswald gefragt.
    SIE  Dein Onkel schläft, hoffentlich. Er wollte nicht mit uns essen ... Er hat sich eingeschlossen.
    ER   Warum?
    SIE  Warum? Er hat sein Zimmer auf den Kopf gestellt ... Dann erklärte er mir, daß er mit uns nichts mehr zu tun haben will ... Mehr weiß ich nicht.
    ER   Wir müssen nachsichtig mit ihm sein.
    SIE  Willst du nichts trinken?
    ER   Was ist los, Doris? Was ist los mit dir?
    SIE  Ich stell mir vor, daß es zu so einer nächtlichen Heimkehr gehört ... Der ermüdete Sieger komm nach Hause ... Bei einem letzten Schluck bilanziert den Tag ... Du kannst drei Tage bilanzieren.
    ER   Du fragst mich nicht, wie alles gegangen ist?
    SIE  Ich kenne deine Antworten.
    ER   Und warum wartest du auf mich? Warum hockst du im Dunkeln und wartest auf mich?
    SIE  Vielleicht – ich wollte sehen, wieviel noch übriggeblieben ist ... Von dem Mann, den ich einmal kannte ...
    ER   Werd nicht feinsinnig.
    SIE  Nimm die Zeitung ... Leg dir die Zeitung unter, wenn du dich setzt ... Es tropft aus dir.
    ER   Doris ...
    SIE  Ich weiß, was du sagen willst.
    ER   Doris, ich muß dir etwas erklären.
    SIE  Du kannst dir’s sparen.
    ER   Du hast keine Ahnung, was passiert ist.
    SIE  Die Frühjahrsstürme, vermute ich ... Einmal waren die Herbststürme schuld, jetzt werden es die Frühjahrsstürme sein ... Oder vielleicht ist es der Mahlsand ... Irgend etwas hat dir mal wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht.
    ER   Hör auf, so zu reden ... Was hast du, verdammt noch mal?
    SIE  Ich seh dich an.
    ER   Du scheinst nicht zu begreifen ...
    SIE  Doch, o doch ...
    ER   Nein

Weitere Kostenlose Bücher