Wasserwelten
Ich hätte dir erzählen sollen, daß alle Vorbereitungen abgeschlossen waren ... Daß wir die »Regina« soweit hatten ...Ich wußte, daß ich sie vom Mahlsand runterbekommen würde ... Ah, Doris: ich wollte mit der guten Nachricht nach Hause kommen.
SIE Ich glaube, du solltest dich jetzt hinlegen, Harry ... Ich mach das hier in Ordnung.
ER Ich hatte mir schon alles zurechtgelegt ... Begreifst du das? Um ein Haar, und es wäre uns gelungen.
SIE Es ist dir gelungen ... Das, worauf es ankam, ist dir gelungen.
ER Was soll jetzt werden?
SIE Komm, Harry ... Ich sag’s dir morgen ... Bitte, komm.
1982
Die allerletzte Reise
oder: Schlachthof für Schiffe
Manche gehen auf schwedischen Klippen verloren. Manche wirft ein Sturm auf die scharfen Felsen vor der schottischen Küste. Der Atlantik holt sich einige, die Karibische See, die Pazifischen Gewässer: Schiffe enden überall. Im Nebel der Schelde, zwischen driftenden Eisbergen vor Grönlands Küsten, auf den wandernden Sandbänken der Deutschen Bucht, im Schlamm des Mississippi-Deltas, auf Atollen und Riffs der Sunda-Welt, in den kurzenSchmetterseen der Biskaya: überall liegen die unbeabsichtigten Friedhöfe der Schiffe, verteilt auf die Meere und Wasserstraßen der Welt. Manchmal beendet ein Sturm eine Fahrt, manchmal ein Schaden in der Maschine oder ein falsches Besteck, eine Unachtsamkeit, ein winziger nautischer Irrtum. Einige erwischt es auf der ersten Reise, andere trifft es in gesegnetem Alter: Schiffe enden planlos, unvermutet, als Beute eines tödlichen Zufalls. Das unterseeische Riff, das den Bug aufschlitzt, der feindliche Bug, der das entscheidende Leck reißt, die Faust des Taifuns, unter der das Schiff zerbricht: sie sorgen jedoch nicht für den tödlichen Zufall, sondern gleichsam für einen natürlichen Tod. Denn Schiffe, so hatte ich früher geglaubt, werden gebaut und hinausgeschickt und in Fahrt gehalten, bis sie der See nicht mehr gewachsen sind und ein Mißgeschick oder Verhängnis ihnen ein natürliches Ende bereitet, draußen auf See, in der heimischen Einöde des Meeres. Mit vielen geschieht es auch so: sie gehen draußen verloren, und ihre Tode erscheinen wie Zugeständnisse an die großen Gewässer.
Aber die meisten Schiffe enden anders, die bei weitem größere Zahl kommt auf andere Weise aus der Welt, ihre allerletzte Reise führt nicht zu unverstelltem Horizont, sondern in ein abgelegenes Hafenbecken, in die Windstille schützender Piers. Wenn draußen ein Schiff verlorengeht, wird sein Ende in den Nachrichten erwähnt, erscheint in der Zeitungsspalte für Vermischtes, und an den Küsten erreicht es den Wert eines Gesprächsgegenstandes für eine Weile: die Schiffe, die hier enden, erregen unserInteresse nicht mehr. Sie sterben sachliche Tode, sie sterben unauffällige, lakonische, ganz und gar zweckmäßige Tode, und sie gehen nicht dramatisch verloren wie vor fremden Küsten, sondern bedachtsam, nach ökonomischem Ratschluß. Hier, auf der Abwrackwerft, enden die meisten Schiffe, und von ihrem Ende spricht man nicht.
Die Werft, die dafür eingerichtet ist, alten Schiffen das Letzte abzugewinnen, liegt draußen vor der Stadt, liegt mitten in einer kahlen, mauerdurchzogenen Industrielandschaft. Ich fuhr hinaus über leere, gepflasterte Straßen, an schwarzen Drahtzäunen entlang. Ich fuhr zu den abgelegenen Seitenbecken, in denen die Fähre der Großen Hafenrundfahrt nie erscheint, in dem kein Bordführer den staunenden Touristen dralle Zahlen nennt, stolze, seewindgeschwellte Zahlen sozusagen, die von Aufbau und Illusion, von Leistung und Wagnis künden. Die Werft, auf der die Reise aller seewärts gerichteten Träume endet, gehört nicht zur Schauseite des Hafens, hier findet das Auge keinen erheiternden Silberglanz, hier werden dem weltweiten Umsatz keine fröhlichen Wimpel aufgezogen, keine Sektflasche zerspringt am Bug der Verheißung. Zurückgezogen, beinahe versteckt, liegt die Werft da, unscheinbar nach außen, und dabei ist sie die rechtschaffene Entsprechung, die notwendige Rückseite der repräsentativen Ansicht des Hafens.
Es muß sie geben, wie es die sehenswerten, die leistungsstolzen Helligen der großen Werften gibt, von denenNeubau nach Neubau ins Wasser gleitet, vom Heulen der Sirenen empfangen, von Beifall und den üblichen Hurras begrüßt. Beim Ende eines Schiffes sind Ehrengäste naturgemäß nicht zugegen ...
Ein roter, schmuckloser Backsteinbau: das Kontor. Ein Schild
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