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Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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über der Tür besagte: »Anmeldung – Verkauf«, und ich ging hinein, um mich anzumelden auf dem Friedhof der Schiffe. Ich zögerte zunächst, denn ich hatte keinen ausreichenden Grund für meinen Besuch: meine Neugier galt dem Ende ausgedienter Schiffe, ihrem ergiebigen Sterben gewissermaßen. Erfahren wollte ich, wie man den Veteranen der Meere, die die Stürme überstanden, die die Untiefen glücklich vermieden hatten, einen Sankt-Nimmermehrs-Tag bereitete, sie zerschnitt, zerhieb und zersägte – bis nichts mehr von ihnen blieb als toter Stoff und Erinnerung.
     
    Den jungen, sehr freundlichen Kontoristen wunderte meine Neugier nicht, er begrüßte mich wie einen Geschäftsfreund, lud mich ein, die Abwrackwerft zu erkunden, und schickte mich zu einem Meister auf den Platz. Der Meister war nicht zu sehen, und ich ging über den unübersichtlichen, zugigen Platz, auf dem die Winde vielfältig abgelenkt wurden von Hügeln aus Holz und Metall, von Kesseln, Waggons und Kränen. Ich stand im Schatten eines Stapels gebleichter Duckdalben; sie waren zerschrammt, zersplittert, weißgescheuert von Bordwänden, die sie in elastischer Fessel gehalten hatten. Ihre Nutzzeit war vorbei, sie waren aus dem Grund und ausdem Verkehr gezogen, warteten vielleicht auf die Kreissäge; doch einstweilen bewahrten sie noch die Schrammen und Scheuerwunden, Zeichen drangvoller, langsamer und kolossaler Bemühungen. Wo waren die Schiffe, die an diesen mächtigen Stämmen festgelegen hatten, deren behäbige Bewegungen von ihnen aufgefangen wurden? An den ausgedienten Duckdalben vorbei ging ich zur Pier hinab, zwischen alten Druckkesseln, rostigen Ankerketten, Spills und Schornsteinen, zwischen zerschlagenen Wellen und Ruderblättern, dreckigen Bodenplatten und ölschwarzem, verbogenem Gestänge, das an den Schnittflächen den rötlichen Schimmer des Kupfers preisgab. Dort, von der Pier, her hörte ich das harte Zischen der Schweißbrenner, hörte die rasselnde Bewegung eines Krans, sein warnendes Klingelzeichen. Ich hörte den Fall von Hämmern und das Geräusch eines Dieseltriebwagens.
    Hier herrschte keine Friedhofsruhe, nicht die gebotene Stille eines Platzes, auf dem so kolossale Wesen wie Schiffe ihr Ende fanden, hier wurde ebenso rasch, ebenso planvoll und termingerecht gearbeitet wie an der Schauseite des Stroms, dort, wo die jungen Schiffe entstanden. Der Kran senkte sich hinter einem Berg scharfkantiger, zerschlagener Eisenteile, ruckte an, hob etwas, zog etwas empor, und ich sah einen gelbbraunen Schiffsmast hochschweben, sah ihn über den Eisensteg und die Kessel schwenken, einen kompletten Schiffsmast mit Antennen und dem schlanken Querbalken, der mir in diesem Augenblick wie ein Kreuz erschien, ein schlankes Friedhofskreuz:es war nicht das Wahrzeichen dieses Platzes. Das Wahrzeichen dieses Platzes, wenn überhaupt, war der scharfe Funkenregen der Schneidbrenner, die zischende Flamme, die sich durch das Eisen biß; ich sah es, als ich zwischen den Hügeln der Schiffsteile hindurch- trat zur Pier.
     
    An der Pier hatte ein Dampfer festgemacht, ein schwarzer, altmodischer Bursche, auf Bug und Heck prangte noch sein Name, ein Name, der an Morgenröte erinnerte, doch jetzt an Abenddämmerung gemahnte. Der vordere Mast fehlte ihm, auch ein Teil der Kajüte fehlte und der Schornstein und die Funkbude. Überall an Bord – auf der Brücke, auf dem Vor- und Achterschiff – arbeiteten Männer mit Plastikhelmen, rissen Planken und Verschalungen los, lösten Schrauben und Blockierungen, schnitten Teile der Bordwand heraus, und ich sah, wie sich der Kran über den alten Dampfer senkte, wie sein Haken irgendwo eingepickt wurde, und dann schwenkte ein Teil der Aufbauten durch die Luft. Dröhnende Schläge hallten herüber, das widerwillige Knarren, wenn Stemmeisen rostige Nägel lockerten, Planken brachen, Eisen fiel auf Eisen, die Flammen knatterten, und wieder senkte sich der Kran über den Veteranen. Hart und sachgerecht gingen sie dem alten Dampfer zuleibe, und ich mußte an ein Bild denken, an eine Zeichnung des gefesselten Gulliver bei den Zwergen: unter der wimmelnden Beschäftigung der Kleinen büßte der Held seine Möglichkeiten ein. Ich stand und sah zu, wie sie aus dem alten Dampferein Wrack machten und das Wrack planvoll zerlegten; da kam der Meister zu mir.
    Auch der Meister trug einen Plastikhelm. Der Meister war ein grauhaariger Mann mit hellen, langsamen Augen und dem bedachtsamen Gang des Fahrensmannes. Er wunderte sich

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