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Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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genormten Teile in der Hoffnung liegen, daß eines Tages ein einlaufendes Schiff diese Teile benötigt und hier zu einem billigen Preis erhält. Schwere, düstere Kessel, plumpe Wassertanks, die aus dem Bauch eines griechischen Dampfers stammen: vielleicht wird eine Ölfirma sie kaufen, um in ihnen Vorräte zu speichern. Ein Satz rostiger, zerschrammter Ankerketten, ein wohlerhaltener Schiffsmast, ein gehämmertes Ruderblatt: sie liegen auf dem Platz bereit, warten auf den Kunden, der sich mit gebrauchtem Material begnügt oder begnügen muß. Was eine Chance hat, im Stück verkauft zu werden, bleibt liegen: vom Rettungsboot und den passenden Davits bis zum Ankerspill.
    Wir fanden eine graugetünchte Funkbude, auf der noch der Peilring befestigt war: welche Signale waren hier durchgelaufen, wieviel chiffrierte Hoffnung, wieviel verschlüsseltes Glück wurde hier aufgenommen? Welche Ansteuerungspunkte wurden hier ausgemacht vor ständig wechselnden Küsten? Würde sie je wieder benutzt werden? – Es ist alles möglich, meinte der Meister und führte mich zum Fallturm, einem hohen, spitz zulaufenden Bau, der entfernt an den Turm einer Norweger Kirche erinnerte. Seine Wände bestanden aus einer Schicht Eisen. Hier wurde zertrümmert und zerschlagen, was sich dem Schneidbrenner widersetzte. In der Mitte des Bodens war eine schwere Eisenplatte eingelassen, auf der die Kugel lag, ein einfaches, aber wirkungsvolles Werkzeug der Zerstörung, das an einem Seil hochgezogenwurde bis zur Spitze und von dort herabsauste mit der Wucht einer Granate.
    Die Wände des Fallturms bewiesen die Kraft des Sturzes, hoben die Spuren der veränderten Gewalt auf: löcherig waren sie, aufgerissen, zerspießt und gezackt von tobsüchtigen Splittern, die wie Schrapnelle durch den dichten Raum zuckten. Die schwere Kugel unterwarf sich das sperrige Metall, hämmerte es sich so lange zurecht, bis es die Form eines Barrens annahm und ein erwünschtes Maß überdies. Was hier im Fallturm entstand, konnte nur als Schrott verkauft werden; es waren die ganz und gar unbrauchbaren Teile eines Schiffes, die geringsten Innereien sozusagen, für die aber gleichwohl noch Verwendung bestand.
    Die wertvollen, zumindest die empfindlichen Teile der ausgeschlachteten Riesen lagen nicht auf dem Platz, sie lagerten in einem mehrstöckigen, schuppenartigen Gebäude, zu dem der Meister mich hinüberführte. In dem dämmrigen Schuppen herrschte die Ordnung, die man auf Schiffen findet, und auch hier durfte jedermann kommen und kaufen, was von einem abgewrackten Schiff übrigbleibt. Da standen viele Typen und Jahrgänge von Kompassen, da lagen Buchten voll Tauwerk und Stapel von Seekarten, ich fand die schwachen Spuren abgesteckter Kurse: nach Alexandria war die Fahrt gegangen, eine andere nach Hongkong, Manila, Saigon. Ich blätterte weiter, fand Karten für alle Meere der Welt, abgegriffene, fleckige, kaum oder auch gar nicht benutzte Seekarten von südamerikanischen Gewässern. Vielleicht wardie Reise dorthin immer eine Hoffnung geblieben, vielleicht hatte sie aber auch gerade bevorgestanden, als der Spruch eintraf, der das Ende verkündete. Als der alte Dampfer auf den Wert alten Eisens herabgesetzt wurde, als man ihn vom Meer ausschloß, da hatte sich niemand die Mühe gemacht, die Karten mitzunehmen, nach denen er so lange gefahren war. Man beließ sie ihm zur letzten Reise, so, wie man ihm die Möbel und Rettungsringe beließ, die Lampen und Laternen. Da stand der lederbezogene Drehstuhl des Kapitäns, standen die altmodischen, unbequemen Stühle und Sessel, die einst den ausgesuchten Komfort einer Kajüte dargestellt hatten: Agenten, Manager, Händler, einflußreiche Besucher hatten in fremden Häfen darin gesessen und nach erfolgreichen Abschlüssen den zollfreien Whisky getrunken, schäbig, zerschlissen waren die Bezüge, doch das dunkel gebeizte Holz verriet immer noch seine exotische Kostbarkeit.
    Und ich blickte auf das Spalier der dunkel gebeizten Kommoden und Schränke, deren Holz von gleicher Härte und Kostbarkeit war. Auch sie waren altmodisch und eng, der Enge des Raumes angemessen, die ein Schiff nun einmal bietet. Welche Mitbringsel, Geschenke von fernen Kontinenten hatten in ihnen gelegen? Und die Rettungsringe: hatte man sie je gebraucht? – einem Mann zugeworfen, der über Bord gegangen war? Und die dickglasigen, vergitterten Laternen: in welchem Sturm hatten sie geleuchtet, wem ein Zeichen gegeben, das Rettung bringen sollte? Sie sind einzeln

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