Wasserwelten
Vorbereitung; stufenweise nähert man sich dem einzigartigenZiel, dem Ort der Verheißung. Obwohl du bisher beiläufig achtzig, hundertfünfzig oder sogar dreihundertfünfzig Mark drangegeben hast, jetzt kommt erst die schwierige Phase der Bewährung oder, sagen wir mal, der Kreuzweg, an dem sich die Virtuosen und die Stümper dieser frühaufsteherischen Zunft trennen. Dieser Kreuzweg wird schlicht bezeichnet durch den Köder, durch das, was du dem Fisch anbietest, womit er in Versuchung geführt wird. Mit einem Wort, der Fisch hat nach Vorschrift zu beißen.
Also, ist man zum Beispiel auf Lachs aus, auf Äsche oder Forelle, dann sucht man sich eine Fliege. Keine selbstgefangene Hausfliege, versteht sich, sondern ein künstliches, schönes, mit ziselierter Heimtücke um den Haken gebundenes Arrangement von Flügeln, Härchen und Federn. Denke nicht, daß es lausige Phantasiefliegen sind, all die Hunderte von Arten, die es für den Angler zu kaufen gibt; alle sind nach ihrem schwirrenden Vorbild im Leben gearbeitet, kaum unterscheiden kann man sie oft – allerdings hat die eine den Haken.
Sie haben, diese künstlichen Fliegen, sogar internationale Namen, gesetzlich geschützte Fachbezeichnungen, und zuweilen tragen sie auch den Namen ihres Erfinders. Sie alle aufzuzählen würde mehrere Seiten füllen: es gibt die Märzbraune männlich und dieselbe in weiblich, es gibt den Junikäfer und die Maifliege, die weiße Motte und die rote Kielmücke, das Wasserheimchen, die Zulufliege, die braune Raupe, die Kuhmistfliege, und selbst die Eintagsfliege ist in mehreren Spielarten vorhanden.
Eine heißt sogar »der Gouverneur«, eine andere »Leichter Professor«, und von der orangenen Hummel bis zur Ziegenfliege ist die ganze Insektenschöpfung anwesend. Schlimmstenfalls geht nur die Hälfte des Urlaubs bei der Wahl der Fliege drauf, denn, nicht wahr, man muß ja zunächst erforschen, welche Sorten in dem Gebiet, in dem man zu fischen die Freude hat, heimisch sind. Und daß man ein ganzes Sortiment mit sich herumschleppen muß, das fordern schon Ufergebüsch und Äste, Stachel- und Telephondrähte und was das Fliegenfischen sonst noch kurzweilig macht.
Aber weiter mit dem Köder: man angelt auf Wurm und auf Made, auf Teig und Kartoffeln, auf Kirschen und Erbsen, auf Muscheln, Hühnerdarm und Rindfleisch, und für die Makrele nimmt man tunlichst ein feines Heringsfilet. (Von Eisbein hörte ich noch nichts, doch man könnte es versuchen.) Selbstverständlich aber muß der Köderfisch erwähnt werden, ein munteres, lebendes Fischchen, auf den der Raubaal geht, der Hecht und der Barsch. Auch die Forelle fliegt natürlich darauf, doch das, wie gesagt, wäre nicht waidgerecht im Sinne des Anglers, bei der Forelle nimmt er die Fliege.
Aber interessanter noch und auch königlicher ohne Zweifel ist die Spinnfischerei, das Angeln mit einem Blinker oder Spinner. Du wirfst ihn weit hinaus mit der Rute, und während die Rolle sich dreht, kommt er unter Wasser zurück: ein blitzendes, verführerisches Metallstückchen, das taumelt und schlenkert und sich über die Maßen exzentrisch gebärdet, so daß es unwiderstehlich wirktauf jeden Raubfisch. Es gibt Löffel-, Kraut- und Zebraspinner, oh, wer kennt hier die süße, erfindungsreiche Perfidie, mit der der Fisch an den Haken gelockt wird. Man kennt rotierende und liegende, silber- und goldfarbene, schlanke und plumpe. Und selbstredend gibt es sie für Hechte und Huchen, für Barsche, Makrelen und was sonst noch darauf zu beißen hat. Es wird dir bald klar werden, daß du mit einem nicht auskommst, denn manchmal schnappt auch das Schilf nach ihnen, ein Ast, eine Matratze am Grund, ein uralter Schuh – der Verschleiß ist beträchtlich. Doch allmählich kennst du dich aus. Du bist vorbereitet in jeder Weise und erleichtert um das halbe Gehalt eines Monats. Jetzt kann es beginnen: du gehst hinab an das Wasser.
Du bist allein im Boot, ein Bild vollendeten Feierabends, und du sitzt und qualmst milde das Pfeifchen der Genügsamkeit, und Friede geht von dir aus oder Anregung für einen fernen Maler am Ufer. Laß ihn malen, er stört nicht. Bei dir ist nichts als das schöne, große, uralte Gefühl der Erwartung und der liebliche Trost, falls du nichts fängst: die Beute ist unwesentlich, entscheidend ist nur das Gefühl.
»Die Kunst, einen Fisch zu fangen«, 1955
Eisfischen oder Was man mit Hechten erleben
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