Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
Vom Netzwerk:
Überraschungen, sie gewährten abenteuerliche Entdeckungen. Außerdem hatten viele ihre Herrenund Besitzer verloren – wie die sehr ergiebigen U-Boote etwa, die mit ihrem eingebauten Vermögen an Akkus, Bleiplatten und Kupferzeug zur Verfügung lagen, wenn auch unter herabstürzenden Bunkerdecken, in den Erbbegräbnissen der jüngsten Geschichte. Damals herrschte eine Blütezeit der Wracks, und wer sich auf das nicht risikolose Geschäft des Ausschlachtens verstand, fuhr silbernen Gewässern entgegen.
    Es hat allerdings nicht den Anschein, als stünden diesem so rationell arbeitenden Schlachthof alter Schiffe unmittelbar krisenhafte Zeiten bevor. Das Angebot an Tonnage ist groß, die Frachtraten auf dem internationalen Schiffsmarkt unterliegen erheblichen Schwankungen. Alle Reedereien der Welt sind bemüht, ihre Flotten zu modernisieren, und das sichert dieser Werft Arbeit. Das sichert ihr einen beständigen Zustrom zu langsamer, zu unrentabler Schiffe. Wehmut? Romantisches Mitgefühl? Sie brauchen uns nicht zu überkommen. Die belebte Schönheit eines Schiffes, seine Eigentümlichkeit, sein angenommenes Herz und seine angenommene Seele, überhaupt der Eindruck seiner Lebendigkeit: all dies gibt es nur, solange ein Schiff eine Besatzung hat. Verlassene, aufgegebene, der Abwrackwerft überstellte Schiffe – so zumindest erschien es mir – nehmen bald ihren angestammten Charakter an, den Charakter eines Werkzeugs, das man sich zum Transport, zur Fortbewegung ersonnen hat.
    Nein, es war keine Stätte der Melancholie, es war kein Friedhofshimmel, der sich über dieser Werft spannte. Dierasselnde Fahrt des Krans, der Fall der Hämmer, der Funkenregen der Schneidbrenner, die auffordernden Rufe und Signale, die ein- und ausfahrenden Lastwagen, der Karbidgeruch, die bunten Plastikhelme: dies alles gehörte zum Panorama einer selbstzufriedenen Arbeitswelt. Der Weg von den stolzen Werften hierher, von den Helligen des Anfangs zu der grauen Pier des Vergessens, ist ein üblicher, ein selbstverständlicher Weg, der niemand befremdet. Schließlich gibt es für alles einen Hafen ohne Wiederkehr – und warum sollte es ihn nicht für Schiffe geben?
    1964
     
     
     
     
    Die anderen waren weg, nur mein Vater war allein am Tisch und forderte mich mit einer Handbewegung auf, mir von seinem besonderen Apfelwein einzuschenken ... Er fing abermals von dem fünfzigjährigen Firmenjubiläum an, das im neuen Jahr gefeiert werden sollte. Für die vielen Gäste wollte er auf dem Werftplatz ein Festzelt hochziehen lassen, Ausschank und kaltes Buffet beim Eingang, man sollte auf Bänken sitzen, vor zusammengestellten Tischen. Ihr, sagte er, werdet an einem Katzentisch sitzen und euch als Läufer an Deck bewähren, also die Mietkellner unterstützen. Reden halten können die aus der Werftleitung und die Vertreter des Senats. Er hobdie Schultern, trank schnell, massierte seine Finger. Fünfzig Jahre, sagte er, fünfzig Jahre. Bald werden auch wir ausgemustert – wie die Schiffe, die sie zu uns zum Abwracken brachten. Wenn ich daran denke, wie viele es waren: eine ganze Flotte kommt da zusammen. Dafür wurden neue gebaut, sagte ich, und er darauf, Neue, ja, aber nur die alten haben ein Schicksal.
    Er bat mich, ihm sein Werft-Album zu holen, das er ausschließlich für sich angelegt hatte, einen Band mit den Photos von Schiffen, die auf ihrer letzten Reise bei uns gelandet waren; unter den Photos, von Hand geschrieben, standen Namen, Reederei, Tonnage, Dauer des Abwrackens. Es war nicht das erste Mal, daß er sein Werft- Album aufschlug und es gemächlich durchblätterte, immer schien er da etwas zu überprüfen, blickweise zu vermessen; wer ihm zusah, konnte annehmen, daß er etwas suchte, was er nicht auf sich beruhen lassen wollte. Was es war, darüber sprach er mit keinem von uns, und er hatte es auch nicht gern, wenn man ihm bei seinen geduldigen Überprüfungen und Vergewisserungen über die Schulter guckte oder ihn mit Fragen störte. Auf meine Bemerkung: Ich geh mal zu den andern, blickte er nicht einmal auf.
    Arnes Nachlaß, 1999

Vom Fischen und Angeln

 
     
     
     
     
     
    Ich wohnte in einem kleinen Haus am Seeufer, und der Lyck-See war für mich die Welt im Spiegel. Ich erkundete seine Ufer. Ich lernte fischen und schwimmen, bevor ich lesen lernte. Der ruhige See weihte mich in seine Geheimnisse ein und gewährte sanfte Abenteuer. Als ich an einem Märzmorgen durch das mürbe Eis brach und nur mit Mühe gerettet wurde, glaubte

Weitere Kostenlose Bücher