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Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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ich mich künftig gegen alle Mißgeschicke auf dem See gefeit: welch ein Glück, sagte ich, nun kann mir nichts mehr passieren. Ich sah in dem Unglück eine Vertraulichkeit. Ich nahm dem See nichts übel. Im Boot, auf träge driftendem Binsenfloß, im Segelschlitten und im schwülen Schilfgürtel bot ich ihm eine zarte Freundschaft an. Wer mich suchte, brauchte nur ans Wasser zu gehen, wo ich auf den schwarzen Fischkönig wartete, den meine Großmutter nicht müde wurde zu denunzieren, weil sie sich Sorgen um mich machte. Ihre Warnungen hatten das Gegenteil bei mir erreicht: ich sehnte mich nach dem Anblick des schwarzen Fischkönigs, um ihm meinen Dienst anzubieten, ich wollte sein Admiral ohne Bezahlung werden, seine Gegner vernichten und hinterher seine fischlippige Tochter heiraten, die ich mir als entzückend gefährdete Karausche vorstellte. ...
    Die Verheißungen des Lyck-Sees waren immer noch groß, und ich nahm seine Aufforderung an und erkundete ihn allein an all seinen Ufern, fischte von all seinen Fischgattungen und lernte von geduldigen, polnisch sprechenden Holzflößern, wie man Angelschnüre dreht, Bleifische gießt, wie man Barsche brät und alle Genugtuungen in der Erwartung auf den Biß findet.
    »Ich zum Beispiel«, 1966

 
    Laßt den zerstreutesten Menschen in tiefste
    Träumereien verfallen – stellt diesen Menschen
    auf seine Füße, setzt ihn in Gang, und er wird
    euch unfehlbar ans Wasser führen.
                                      Herman Melville, Moby Dick
     
     
     
     
    Das größte Glück ist es, einen Fisch zu fangen; das zweitgrößte – keinen zu fangen. Oh, halte das nicht für Chinesisch, für irgendeinen lapidaren Tiefsinn des Ostens, nein. Denn das ist unsere Maxime, die schlichte Weisheit des Anglers, sein genügsames Glücksideal, seine bescheidene List gegenüber dem Leben. Auch keinen Fisch zu fangen ist ein Glück. Warum? Weil die Beute nicht wesentlich ist. Sie ist nicht das Ein und das Alles, sie zählt für uns keineswegs. Entscheidend ist nur das Gefühl.
    Wenn du draußen bist im Boot, allein vor dem Schilf, du riechst das Kraut und den Kalmus, du hörst die Geräusche, zirpende, knarrende, blubbernde Geräusche, du spürst immer etwas von Feierabend, und deine Gedanken gehen friedlich wie Rauch über das Land. Wenn du so draußen bist und die Angeln sind ausgelegt, dann stellt sich das Gefühl ein, das große, uralte Gefühl der Erwartung, das jeder Angler kennt. Du erwartest beileibe noch nicht den Fisch – du erwartest seinen Biß, das jähe Zittern des Schwimmers, das diesen Biß meldet, du erwartest, daß der Fisch den Schwimmer hinabzieht, tiefund geheimnisvoll, und daß du anschlägst und der Fisch kraftvoll und schwer ist. Du wünschst, daß er die Schnur von der Rolle reißt und verschwindet, du möchtest ihn noch gar nicht sehen, denn wenn er gleich beim Anschlagen herauskäme, wäre er klein. Er soll tief und unsichtbar bleiben, du willst seine Kraft im Stock fühlen, in deiner Hand, du wünschst die Auseinandersetzung mit ihm, der Fisch soll dir zu schaffen machen. Oh, er ist noch lange nicht dein Besitz, auch der Fisch weiß, worauf es ankommt, er wehrt sich unentwegt, und seine Chance, sich loszureißen, ist nicht klein. Es ist entschieden anders als bei der Jagd, wo der Bock ahnungslos ist, ungewarnt, wenn ihn die Kugel erreicht – beim Angeln hat der Fisch seine Chancen. Du siehst ihn ja nicht, kennst nicht die Art, die Gattung, und wenn er dann, sehr müde, zum ersten Mal auftaucht, und er ist herrlich und groß und glänzend, und du spürst, daß er fertig ist, dann wird er dir sonderbar gleichgültig: die Beute ist unwesentlich, was zählt, ist das Gefühl.
    Und mit den Schmerzen ist’s nicht so schlimm, mit den Schmerzen für den Fisch. Das hat Büchner belegt, Georg Büchner, der seine Antrittsvorlesung über das Nervensystem der Fische hielt, und die Praxis des Anglers hat es oft bestätigt. Man hat Fische gefangen, große Fische, die einen Haken im Maul hatten, gerade empfangen, der Haken schadet ihnen nicht viel und wächst bald heraus.
    Aber so flüssig, so geschwind und so unbekümmert geht es natürlich nicht zu beim Angeln; ach, wie arm selig wäre es, wenn man nur hinginge mit einem Stock, etwasSchnur und dem Haken und zöge einfach Fische heraus. Man würde, wenn man so etwas täte, den ganzen Königssport der Geduld entwerten, man würde das Angeln profanieren, ihm seinen Ruhm nehmen, sich über sein

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