Watch Me - Blutige Spur (German Edition)
wahrscheinlich auf der Beerdigung gewesen war.
Sie wandte den Blick ab und hoffte, er würde in seinem Haus verschwinden und sie in Ruhe lassen. Aber das tat er nicht. Er kam herüber und klopfte ans Fenster.
Stumm in sich hineinfluchend, kurbelte Karen die Scheibe herunter und sah zu ihm hoch. „Hi, Don.“
„HL“ Er lächelte, aber sah noch einmal genauer hin, als er ihre Wange sah. „Oh, wow, was ist dir denn passiert?“
„Ich bin gegen die Tür gerannt. Kaum zu glauben, was?“ Sie wusste, dass es eine lahme Ausrede war, eine, die geschlagene Frauen ständig benutzten, aber sie wusste auch, dass er die Wahrheit nie für möglich halten würde.
„Himmel, das muss aber ordentlich wehgetan haben!“
„Hat es auch.“
Die spärlichen grauen Haarsträhnen, die er sich über den nahezu kahlen Schädel kämmte, glitzerten im Sonnenlicht. „Wir haben dich auf der Beerdigung vermisst.“
„Ich habe mich nicht wohlgefühlt. Mein … äh … Unfall hat mir ziemlich üble Kopfschmerzen beschert.“
„Das wundert mich nicht. Tut mir leid.“ Er beugte sich vor und musterte ihre verweinten roten Augen. „Geht es dir gut?“
„Mir geht’s gut.“ Wenn sie nur John davon überzeugen könnte, sein Wissen für sich zu behalten! „Wie war der Gottesdienst?“, fragte sie, um das Thema zu wechseln.
Er schob die Hände in die Taschen seiner Anzughose, die er sich zu seiner Scheidung neu gekauft haben musste, und das war etwa zu der Zeit gewesen, als Cains Mutter starb. Er schaukelte von den Zehen auf die Fersen. „Ich glaube, wir haben ihr einen schönen Abschied bereitet. Amy wäre stolz gewesen auf so eine Vorstellung.“
„Hast du John gesehen?“
„Nicht seit er beim Gottesdienst ein paar Worte gesagt hat. Junge, er hat seine Sache großartig gemacht!“
„Das freut mich.“
Er rückte seine Krawatte gerade. „Sie war wie eine Tochter für ihn.“
„Das hat er erzählt.“
Ein weiterer Nachbar kam in seinem Wagen die Straße entlang und winkte, und Karen beschloss, aus ihrem Mustang auszusteigen. Sie konnte nicht vor Johns Haus sitzen und mit seinem Nachbarn plaudern. Sie hatte die Beerdigung geschwänzt, weil sie nicht gesehen werden wollte.
„Ich glaube, ich warte lieber drinnen. Mir ist ein bisschen schwindelig.“ Don hatte ihr gerade irgendetwas darüber erzählt, was Tiger gesagt hatte, als sie mit ihrer Bemerkung dazwischenplatzte, aber sie war zu zerstreut, um Interesse vorzutäuschen. Sie sehnte sich nach einem dunklen ruhigen Ort, wo sie mit ihren Sorgen allein sein konnte.
„Soll ich dir ein Aspirin bringen?“, fragte Don. „Ein Glas Wasser?“
„Nein, danke. Ich melde mich später bei dir“, murmelte sie und ließ ihn auf dem Rasen stehen und ihr nachblicken.
Sie schloss Johns Haus mit dem Schlüssel auf, den er ihr schon vor Monaten gegeben hatte, und atmete erleichtert auf, sobald die Tür hinter ihr geschlossen war. Aber nur einen Moment darauf wurde ihr die Kehle eng, und sie begann erneut zu weinen. Dieser Ort war ihr so vertraut. Sie hatten zwar mehr Zeit in ihrem Haus verbracht, aber immerhin hatte sie erwartet, eines Tages bei John einzuziehen.
Sie stand vor dem Klavier und musterte die Fotos, die darauf standen. Die meisten zeigten die Kinder, als sie noch jünger waren. Jason im Footballtrikot. Jason in dem alten Wagen, den er sich vom Lohn seines Schülerjobs gekauft hatte. Jason als grinsender Sechsjähriger, dem beide Vorderzähne fehlten. Es gab ein kleineres Foto von Owen bei der Abschlussfeier an der Uni und eines von Robert auf der Wissenschaftsmesse. Aber sie entdeckte kein einziges Foto von Cain oder seiner Mutter – was ziemlich bitter war, wenn man bedachte, dass das Klavier Julia gehört hatte.
„Ich wette, du hast es gehasst, deinen Sohn verlassen zu müssen“, flüsterte sie und legte den Ring, den John ihr gegeben hatte, neben eines von Jasons Bildern.
Dann schlenderte sie durchs Haus und versuchte, sich von der Angst abzulenken, die in ihren Eingeweiden bohrte -bis sie Robert durch das Seitenfenster sah. Sie vermutete, er würde um das Haus herum zur Vordertür gehen, also flüchtete sie sich in die Garage. Sie wollte ihm nicht gegenübertreten, wollte nicht erklären müssen, woher sie die riesige Prellung im Gesicht hatte, oder zugeben müssen, dass ihre Beziehung mit John am Ende war. Robert würde sich nur freuen, wenn er glaubte, er hätte sein Ziel erreicht. Und das könnte sie nach allem anderen nicht auch noch
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