Watermind
ihr der Bericht der Umweltschutzbehörde wieder ein, und sie schüttelte das Wasser von den Fingern. Die Tropfen wurden von Sonnenstrahlen getroffen und bildeten eine Gruppe größer werdender Ringe auf dem Bach.
»Du bist hier gewesen«, flüsterte sie.
Fünfzig Meter weiter endete der grüne Baldachin und gab den Blick frei auf einen strahlend blauen Himmel, und dahinter lag der spülwassertrübe Schiffskanal. Direkt gegenüber dem Frachtkai ergoss sich der reine Nektar des Flussarms wie funkelnde Perlen in die graue Brühe. CJ watete bis zum Zusammenfluss. Sie sah, wie die klare Wasserfahne fast zwanzig Meter weit in den Fluss hineinragte, und das Wasser sah irgendwie unnatürlich aus.
Spiegelungen stiegen aus der Tiefe auf, von Schichten. Erstaunt beugte sie sich hinab, bis sich ihr Gesicht nur noch Zentimeter über der Oberfläche befand. Das Wasser glänzte wie ein Stapel Acetatblätter. Sie konnte die Schichten mit bloßem Auge sehen – ultradünne Filme mit irisierenden Regenbogen dazwischen.
Sie tauchte beide Arme ins Wasser, und die Schichten zersprangen. Eisige Regenbogen wanden sich um ihre Finger, und der flüssige Fächer schien sich aufzulösen. Jede kleine Perle zog sich in die Länge, mit geraden Kanten, wie ein maschinengestanztes Stück Metall. Einen Moment lang kreiste der funkelnde Fächer hektisch um ihre Arme und Beine, dann schoss er davon und verteilte sich im grauen Kanal. Und CJs Kompass tanzte.
20
Freitag, 11. März, 18.20 Uhr
Carolyn Joan Reilly kannte sich mit reinem Wasser aus. Schon als sie noch ein kleines, gescheites Schulkind gewesen war, hatte Harry sie zur Kyoto World Water Conference mitgenommen. Mit strahlenden Augen und voller Erwartung hatte Carolyn eine Woche lang in der ersten Reihe gesessen und sich Notizen gemacht.
Sie wusste, dass Wasser acht Zehntel der Erdoberfläche bedeckte, aber es überraschte sie zu hören, dass weniger als drei Prozent davon trinkbar waren, und das meiste davon war entweder gefroren oder im Boden eingeschlossen. Sie hätte nie gedacht, dass Süßwasser knapp sein könnte, obwohl die Menschen seit Urzeiten um Wasser gekämpft hatten und künstliche Reservoire so viel Gewicht auf der Erdoberfläche verschoben hatten, dass sie die Erddrehung veränderten.
Als Carolyn erfuhr, dass die Menschen täglich zwei Millionen Tonnen Schmutz in das Süßwasser der Erde kippten, war sie sofort online gegangen und hatte ihre gesamten Ersparnisse von 3.255 Dollar an die World Water Organization überwiesen. Klein Carolyn glaubte nicht an bescheidene Akte.
»Ein Kind alle acht Sekunden.« Dieser Satz hatte sich ihr eingebrannt – und die drastischen Fotos von Kindern, die an wasserbedingten Krankheiten starben. Die körnigen Schwarzweißgesichter verfolgten sie. »Wasserverschmutzung verursacht achtzig Prozent der Erkrankungen in der dritten Welt«, notierte sie in ihrem Tagebuch. Als der Vortrag ihres Vaters Rettung durch Chemie versprach, wollte sie ihm glauben.
Jahre später, in Max Pottevents' Wohnung in West Baton Rouge, lief sie in dem schmalen Raum zwischen Bett und Fernseher hin und her und versuchte sich zu erinnern. Warme Frühlingsluft strömte durch das Fenster herein, und Schweiß sammelte sich in ihrem Haar.
»Wie filtert es die Unreinheiten? Chemische Ausflockung? Elektrolyse? Vielleicht verpasst es den Schadstoffen eine Ladung, damit sie vom elektromagnetischen Feld abgestoßen werden.«
»Erklär mir noch mal, was ein elektromagnetisches Feld ist«, bat Max.
»Es ist sowohl ein elektrisches als auch ein magnetisches Feld. Die elektrische Energie lässt die Elektronen hin und her schwingen, und die magnetische Kraft lässt sie sich im Kreis drehen.«
Max lachte sanft und versuchte sich diese Verrücktheit vorzustellen. »Klingt wie Cha-Cha-Cha.«
CJ klopfte auf einen seiner überdimensionierten Lautsprecher. »In diesem Moment könnte das Kolloid in den Kanal strömen. Vielleicht erfahren wir nie, woraus es besteht.«
Max' Wohnung war kaum größer als ihr Motelzimmer, doch er hatte eine bunte Mischung gebrauchter Möbel und eine zusammengewürfelte Musikanlage hineingequetscht. Ein Gewirr von Kabeln zog sich wie Adern über die Decke und führte an Wänden, deren Farbe abgeblättert war, wieder herunter, um die diversen Komponenten miteinander zu verbinden. Sein frottoir , das rostige Waschbrett, das er auf der Brust trug und mit den Fingern bearbeitete, um den Zydeco-Rhythmus zu machen, hing an der Wand wie eine antike Waffe.
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